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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sind, wo außer den Vögeln niemand da ist, um die Brombeeren zu essen; und Kiesgruben, an deren Einfahrten alte rostige Ketten hängen – Kiesgruben, die völlig in Vergessenheit geraten sind wie alte Kinderspielzeuge, und deren verlassene Abhänge von Unkraut und Gras zugewuchert sind. Straßen, die von allen vergessen wurden, von den paar Leuten abgesehen, die dort wohnen und überlegen, wie sie am schnellsten davon weg auf die Autobahn kommen, wo man ohne zu fluchen einen Hügel langrauschen kann. Wir hier in Maine machen gern den Witz, dass man nicht von hier nach dort kommen kann, aber vielleicht geht der Witz auf unsere Kosten. In Wahrheit gibt es tausenderlei Möglichkeiten, irgendwo hinzukommen, nur kümmert sich kein Mensch darum.
    Homer fuhr fort: »Ich hab den ganzen Nachmittag dieses kleine heiße Badezimmer gekachelt, und sie stand die ganze Zeit auf der Schwelle, ein Bein hinter dem anderen, Tennisschuhe, einen khakifarbenen Rock und einen etwas dunkleren Sweater an. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie muss damals vier- oder fünfunddreißig gewesen sein, aber ihr Gesicht strahlte beim Erzählen, und sie sah aus wie ein Collegemädchen, das die Ferien zu Haue verbringt.
    Nach einer Weile muss sie dann gemerkt haben, wie lang sie schon da rumstand und sich den Mund fusselig redete, den plötzliche hat sich gesagt: ›Ich muss Sie zu Tode langweilen, Homer.‹
    ›Ja, Ma’am‹, sag ich. ›So ist es. Mir wär’s viel lieber, Sie würden weggehen, damit ich mich mit diesem verdammten Mörtel unterhalten kann.‹
    ›Werden Sie nicht frech, Homer‹, sagte sie.
    ›Nein, Missus, Sie langweilen mich nicht‹, sag ich.
    Und sie lächelt, legt wieder los und blätterte in ihrem kleinen Notizbuch wie ein Vertreter, der seine Aufträge überprüft. Sie hatte die vier Hauptstrecken – nun, eigentlich drei, weil sie Route 2 abgetan hatte –, aber muss vierzig andere Wege gekannt haben, alles verschiedene Varianten der Hauptstrecken. Straßen mit Nummern, Straßen ohne, Straßen mit Namen, Straßen ohne. Mir schwirrte schon der Kopf. Und schließlich sagt sie zu mir: ›Wollen Sie hören, welche die Goldmedaille bekommen hat, Homer?‹
    ›Na klar‹, sag ich.
    ›Zumindest hat sie bisher die Goldmedaille‹, sagt sie. ›Wussten Sie, Homer, dass 1923 ein Mann in Science Today einen Artikel geschrieben und bewiesen hat, dass kein Mann eine Meile in weniger als vier Minuten laufen kann? Er hat es bewiesen, mit allen möglichen Berechnungen, die auf der maximalen Länge der männlichen Oberschenkelmuskeln, der maximalen Schrittlänge, der maximalen Herz- und Lungenkapazität und einer Menge anderer Daten basierten. Dieser Artikel faszinierte mich. Er faszinierte mich so, dass ich ihn Worth gab und ihn bat, ihn Professor Murray von der Mathe-Fakultät der University of Maine zu geben. Ich wollte diese Berechnungen überprüfen lassen, weil ich überzeugt war, dass sie von falschen Grundvoraussetzungen ausgingen oder so was. Worth hielt mich wahrscheinlich für albern – ‚Ophelia hat einen kleinen Vogel‘, sagt er immer – aber er tat mir den Gefallen. Nun, Professor Murray hat alle Angaben und Berechnungen des Mannes sorgfältig überprüft … und wissen Sie was, Homer?‹
    ›Nein, Missus.‹
    ›Die Zahlen stimmten. Die Kriterien des Mannes waren korrekt. Er bewies 1923, dass ein Mann eine Meile nicht in weniger als vier Minuten zurücklegen kann. Er bewies das. Aber es wird ständig vollbracht, und wissen Sie, was das bedeutet?‹
    ›Nein, Missus‹, sag ich, obwohl ich eine Ahnung hatte.
    ›Es bedeutet, dass keine Goldmedaille für ewig ist‹, sagt sie. ›Irgendwann – wenn die Erde nicht vorher in die Luft fliegt – wird jemand bei der Olympiade eine Meile in zwei Minuten zurücklegen. Vielleicht erst in hundert oder tausend Jahren, aber es wird geschehen. Es gibt nämlich keine endgültige Goldmedaille. Es gibt den Nullpunkt und die Ewigkeit, und es gibt die Sterblichkeit, aber es gibt nichts Endgültiges.‹
    Da stand sie mit strahlendem, sauberem, leuchtendem Gesicht, das dunkelbraune Haar aus der Stirn gekämmt, und sah mich an, als wollte sie sagen: Na los, widersprechen Sie, wenn Sie können. Aber das konnte ich nicht. Weil ich selbst so was Ähnliches glaube. Ich glaube, so was in der Art meint auch der Pfarrer, wenn er von Gnade redet.
    ›Wollen Sie den momentanen Goldmedaillengewinner hören?‹, fragt sie.
    ›Jawoll‹, sag ich und hab sogar ’nen

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