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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ausgelöst hatte, hatte sich aus dem Staub gemacht.
    »Es wurde geschossen«, murmelte Miss Gibson. »Was ist passiert?«
    »Ich glaube, der Grieche hat gerade den Zahlmeister kaltgemacht«, sagte Biff.
    Sie sah mich bestürzt an, aber ehe ich übersetzen konnte, sagte Billy-Boy mit seiner leisen, höflichen Stimme: »Er meint, dass Mr. Scollay gerade allegemacht worden ist, Miss Gibson.«
    Miss Gibson sah ihn an, ihre Augen wurden größer und größer, und dann fiel sie in Ohnmacht. Mir war selbst zumute, als würde ich gleich umkippen.
    Da ertönte von draußen der schrecklichste Schrei, den ich je gehört habe, damals wie heute. Das unheilige Plärren hörte nicht mehr auf. Man musste nicht zur Tür raus sehen, um zu wissen, wer sich auf der Straße die Seele aus dem Leib schrie und über ihrem toten Bruder kauerte, während Bullen und Zeitungsschmierer unterwegs waren.
    »Verduften wir«, murmelte ich. »Schnell.«
    Wir hatten zusammengepackt, noch ehe fünf Minuten verstrichen waren. Ein paar Gangster kamen rein, waren aber so betrunken oder verängstigt, dass sie von uns keine Notiz nahmen.
    Wir gingen hinten raus, und jeder trug wieder einen Teil von Biffs Schlagzeug. Wir müssen für jeden, der uns gesehen hat, eine tolle Parade abgegeben haben. Ich ging mit dem Hornkasten unter dem Arm und einem Becken in jeder Hand voraus. Die Jungs blieben an der Ecke am Ende des Blocks stehen, während ich den Laster holte. Die Bullen waren noch nicht aufgekreuzt. Das dicke Mädchen kauerte immer noch mitten auf der Straße über dem Leichnam ihres Bruders und heulte wie eine Sirene, während ihr Winzling von Bräutigam um sie herumlief wie ein Mond, der einen großen Planeten umkreist.
    Ich fuhr runter zur Ecke, und die Jungs warfen alles holterdipolter hinten rein. Dann zogen wir so schnell wir konnten Leine. Wir machten den ganzen Weg bis Morgan fünfundvierzig Meilen die Stunde, Feldwege hin oder her, und keiner von Scollays Ganoven muss sich die Mühe gemacht haben, uns an die Bullen zu verpfeifen, oder den Bullen war es einerlei, auf jeden Fall hörten wir nie etwas von ihnen.
    Die zweihundert Piepen haben wir auch nie bekommen. Sie kam etwa zehn Tage später in Tommy Englanders Schuppen, ein dickes irisches Mädchen in schwarzer Trauerkleidung. Das Schwarz sah auch nicht besser aus als der weiße Satin.
    Englander muss gewusst haben, wer sie war (ihr Bild war neben dem von Scollay in den Zeitungen von Chicago abgebildet gewesen), weil er sie persönlich zu einem Tisch führte und ein paar Trunkenbolde an der Theke zum Schweigen brachte, die sich über sie lustig machten.
    Sie tat mir leid, so wie Billy-Boy manchmal. Es ist hart, Außenseiter zu sein. Man muss nicht selbst einer sein, um das zu wissen, aber ich gebe zu, man kann nicht genau erfahren, wie es ist. Und sie war sehr nett gewesen, soweit ich mit ihr gesprochen hatte.
    In der Pause ging ich an ihren Tisch.
    »Das mit Ihrem Bruder tut mir leid«, sagte ich linkisch. »Ich weiß, er hatte Sie wirklich gern und …«
    »Ich hätte ebenso gut selbst auf ihn schießen können«, sagte sie. Sie sah auf ihre Hände, und jetzt, wo sie mir auffielen, stellte ich fest, dass sie wirklich das Beste an ihr waren, klein und zierlich. »Was der kleine Mann gesagt hat, stimmt alles.«
    »Ach, hören Sie«, antwortete ich – ein Trugschluss, wenn es je einen gegeben hat, aber was hätte ich sonst sagen können? Ich bedauerte, dass ich hergekommen war, sie redete so seltsam. Als wäre sie ganz allein und verrückt.
    »Ich werde mich aber nicht von ihm scheiden lassen«, fuhr sie fort. »Vorher würde ich mich selbst umbringen, auch wenn meine Seele in der Hölle schmoren müsste.«
    »Sagen Sie so was nicht«, sagte ich.
    »Haben Sie sich nie selbst umbringen wollen?«, fragte sie und sah mich leidenschaftlich an. »Geht es Ihnen nicht so, wenn die Leute Sie missbrauchen und sich dann noch über Sie lustig machen? Oder hat das nie jemand mit Ihnen gemacht? Das können Sie behaupten, aber Sie werden mir verzeihen, wenn ich Ihnen nicht glaube. Wissen Sie, wie es ist, wenn man isst und isst, sich selbst dafür hasst und trotzdem weiterisst? Wissen Sie, wie es ist, wenn man den eigenen Bruder auf dem Gewissen hat, nur weil man dick ist?«
    Leute drehten sich zu uns um, und die Betrunkenen kicherten wieder.
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie.
    Ich wollte ihr sagen, dass es mir auch leidtat. Ich wollte ihr sagen … oh, alles Mögliche, das sie etwas aufmuntern würde.

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