Blut - Skeleton Crew
hinauf. Rand stand noch an derselben Stelle, als hätte er sich überhaupt nicht gerührt.
»Rand. Ich habe dir deinen Wasseranteil gebracht.« Er öffnete den Reißverschluss der Tasche vorn auf Rands US-Anzug und schob die flache Plastikfeldflasche hinein. Er wollte den Reißverschluss gerade wieder mit dem Daumennagel schließen, als Rand seine Hand wegstieß. Er zog die Flasche heraus. Sie trug folgende Aufschrift: SCHIFFSLOGISTIK ASN/KLASSE FELDFLASCHE NR. 23196755. STERIL, WENN PLOMBE UNBESCHÄDIGT.
Die Plombe war jetzt natürlich beschädigt; Shapiro hatte die Flasche auffüllen müssen.
»Ich habe das Wasser geklärt …«
Rand spreizte die Finger. Die Feldflasche fiel mit einem leisen Ploppen in den Sand. »Ich will nicht.«
»Du willst … Rand, was ist los mit dir? Mein Gott, hör endlich auf!«
Rand antwortete nicht.
Shapiro bückte sich und hob Feldflasche Nr. 23196755 auf. Er wischte Sandkörner weg, die wie riesige aufgeblähte Bazillen an den Seiten klebten.
»Was ist los mit dir?«, wiederholte Shapiro. »Ist es Schock? Glaubst du, dass es das ist? Dagegen kann ich dir nämlich eine Pille geben … oder eine Spritze. Aber ich sag dir ehrlich – du gehst mir auf die Nerven. Du stehst nur hier draußen rum und studierst vierzig Meilen Nichts. Es ist Sand! Nur Sand! «
»Es ist ein Strand«, sagte Rand verträumt. »Möchtest du eine Sandburg bauen?«
»Okay, gut«, sagte Shapiro. »Ich geh jetzt eine Spritze und eine Ampulle Yellowjack holen. Wenn du dich wie ein Rauschkopf benehmen willst, behandle ich dich auch wie einen.«
»Wenn du versuchst, mir was zu spritzen, solltest du dich lieber leise anschleichen«, sagte Rand gleichmütig. »Sonst brech ich dir den Arm.«
Das könnte er. Shapiro, der Astrogator, wog siebzig Kilo und war eins siebzig groß. Ringkämpfe waren nicht seine Spezialität. Er fluchte grunzend und drehte sich zum Schiff um, Rands Feldflasche in der Hand.
»Die leben«, sagte Rand. »Bin mir ziemlich sicher.«
Shapiro sah zu ihm, dann zu den Dünen. Der Sonnenuntergang ließ ihre glatten Spitzen wie goldene Filigrankunstwerke aussehen; nach unten zu wurden sie allmählich dunkler, und die Täler hatten die Farbe von schwärzestem Ebenholz; auf dem nächsten Dünenhang ging Ebenholz dann wieder in Gold über. Gold zu Schwarz. Schwarz zu Gold. Gold zu Schwarz. Schwarz zu Gold und Gold zu Schwarz und …
Shapiro blinzelte hastig und strich mit der Hand über die Augen.
»Ich habe ein paarmal gespürt, wie sich diese Düne unter meinen Füßen bewegt hat«, sagte Rand zu Shapiro. »Sie bewegt sich sehr anmutig. Es ist so, als würde man die Gezeiten spüren. Ich kann ihren Geruch in der Luft wahrnehmen, und es riecht nach Salz.«
»Du bist verrückt«, sagte Shapiro. Er war so entsetzt, dass er das Gefühl hatte, sein Gehirn hätte sich in Glas verwandelt.
Rand gab keine Antwort. Rands Blicke schweiften über die Dünen, die sich in der untergehenden Sonne von Gold zu Schwarz, von Schwarz zu Gold verfärbten.
Shapiro kehrte ins Schiff zurück.
Rand blieb die ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag über auf der Düne.
Shapiro blickte hinaus und sah ihn. Rand hatte seinen US-Anzug ausgezogen, und der Sand hatte diesen schon fast bedeckt. Nur ein Ärmel ragte noch heraus, einsam und flehend. Der Sand über und unter ihm erinnerte Shapiro an ein Lippenpaar, das mit zahnloser Gier an einem zarten Bissen saugt. Shapiro verspürte einen irren Drang, die Düne zu erklimmen und Rands US-Anzug zu retten.
Er machte es nicht.
Er saß in seiner Kabine und wartete auf das Rettungsschiff. Der Geruch nach Freon war verflogen. An seine Stelle war der noch unangenehmere Geruch des verwesenden Grimes getreten.
Das Rettungsschiff kam weder an diesem Tag noch in der folgenden Nacht noch am dritten Tag.
Sand geriet irgendwie in Shapiros Kabine, obwohl die Luke geschlossen war und die Abdichtung vollkommen in Ordnung zu sein schien. Er saugte die ersten Sandhäufchen mit dem Handsauger auf, wie am ersten Tag die Pfützen ausgelaufenen Wassers.
Er hatte ständig Durst. Seine Feldflasche war schon fast leer.
Er glaubte, Salzgeruch in der Luft wahrzunehmen; im Schlaf hörte er Möwen schreien.
Und er konnte den Sand hören.
Der unablässige Wind rückte die erste Düne näher ans Schiff. Shapiros Kabine war noch in Ordnung – dank dem Handsauger –, aber vom Rest ergriff der Sand schon Besitz. Mini-Dünen waren durch die beschädigten Luftschleusen eingedrungen und
Weitere Kostenlose Bücher