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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hatten ASN/29 in Besitz genommen. Sie krochen als Rinnsale und Verwehungen durch alle Ritzen. In einem der explodierten Tanks hatte sich schon ein Berg gebildet.
    Shapiros Gesicht wurde hager, rank vom Schatten und von den Bartstoppeln.
    Kurz vor Sonnenuntergang des dritten Tages stapfte er die Düne hinauf, um nach Rand zu sehen. Er überlegte, ob er die Spritze mitnehmen sollte, ließ es aber. Es war viel mehr als nur ein Schock; das war ihm inzwischen klar geworden. Rand hatte den Verstand verloren. Es wäre am besten, wenn er schnell sterben würde. Und es sah so aus, als würde genau das geschehen.
    Shapiro war hager; Rand war ausgemergelt. Sein Körper war spindeldürr. Seine Beine, noch vor kurzem kräftig und fest, mit eisernen Muskeln, sahen jetzt schlaff und welk aus. Die Haut schlotterte an ihnen wie zu weite Socken, die ständig rutschen. Er trug nur noch seine Unterhose, die aus rotem Nylon war und absurde Ähnlichkeit mit einem Tanga hatte. Ein flaumiger Bart spross in seinem Gesicht und überzog hohle Wangen und Kinn. Der Bart hatte die Farbe von Strandsand. Die Haare, ehemals hellbraun, waren jetzt ausgeblichen, fast blond. Sie hingen ihm in die Stirn. Nur die hellblauen Augen, die stechend blau durch die Haarsträhnen blickten, waren noch lebendig. Sie betrachteten den Strand
    (die Dünen gottverdammt die DÜNEN)
    unaufhörlich.
    Und dann sah Shapiro etwas Schlimmes. Etwas wirklich sehr Schlimmes. Er sah, dass Rands Gesicht sich in eine Sanddüne verwandelte. Sein Bart und das Haar überwucherten die Haut.
    »Du wirst sterben«, sagte Shapiro. »Wenn du nicht zum Schiff kommst und etwas trinkst, wirst du sterben.«
    Rand sagte nichts.
    »Willst du das?«
    Nichts. Das hohle Schnüffeln des Windes, sonst nichts. Shapiro bemerkte, dass Rands Nackenfalten sich mit Sand füllten.
    »Das Einzige, was ich will, sind meine Beach-Boys-Kassetten«, sagte Rand mit schwacher, verträumter Stimme wie der Wind. »Sie sind in meiner Kabine.«
    »Zum Teufel mit dir!«, sagte Shapiro wütend. »Weißt du, was ich hoffe? Ich hoffe, dass ein Schiff kommt, bevor du stirbst. Ich möchte dich schreien und toben hören, wenn sie dich von deinem kostbaren gottverdammten Strand wegzerren. Ich möchte sehen, was dann passiert!«
    »Der Strand wird dich auch holen«, sagte Rand. Seine Stimme war tonlos und rasselte wie Wind in einem aufgeplatzten Kürbis – einem Kürbis, der Ende Oktober bei der letzten Ernte auf dem Feld vergessen worden ist. »Hör nur, Bill! Hör mal die Welle. «
    Rand legte den Kopf schief. Sein halboffener Mund enthüllte die Zunge. Sie war eingeschrumpft wie ein ausgetrockneter Schwamm.
    Shapiro hörte etwas.
    Er hörte die Dünen. Sie sangen Lieder vom Sonntagnachmittag am Strand – von traumlosen Nickerchen am Strand. Langen Nickerchen. Ungestörtem Frieden. Dem Schreien von Möwen. Rieselnden, hirnlosen Sandkörnchen. Wanderdünen. Er lauschte … und wurde angezogen. Von den Dünen angezogen.
    »Du hörst sie«, sagte Rand.
    Shapiro steckte zwei Finger in die Nase und bohrte, bis sie blutete. Dann konnte er die Augen schließen; seine Gedanken fügten sich langsam und schwerfällig zusammen. Sein Herz schlug rasend.
    Ich war fast wie Rand. Mein Gott! … fast hatten sie mich!
    Er schlug die Augen wieder auf und sah, dass Rand zu einer Muschelschale an einem langen, einsamen Strand geworden war, die sich zu den Geheimnissen eines untoten Meeres schleppte und dabei auf die endlosen Dünen und Dünen und Dünen starrte.
    Schluss jetzt, stöhnte Shapiro innerlich.
    Oh, aber hör doch diese Welle!, flüsterten die Dünen zurück.
    Wider den gesunden Menschenverstand lauschte Shapiro.
    Dann hörte sein gesunder Menschenverstand auf zu existieren.
    Shapiro dachte: Ich könnte besser hören, wenn ich mich setzen würde.
    Er setzte sich zu Rands Füßen, legte die Fersen auf die Schenkel wie ein Yaqui-Indianer und lauschte.
    Er hörte die Beach Boys, und die Beach Boys sangen von Sun, Sun, Sun. Er hörte sie singen, dass die Mädchen am Strand alle zum Greifen nah waren. Er hörte …
    … ein hohles Seufzen des Windes, nicht im Ohr, sondern in der Schlucht zwischen rechter und linker Gehirnhälfte  – er hörte dieses Seufzen irgendwo in der Schwärze, die nur von der Hängebrücke des corpus callosum überspannt wird, der bewusstes Denken mit dem Unendlichen verbindet. Er spürte keinen Hunger, keinen Durst, keine Hitze, keine Angst. Er hörte nur die Stimme in der Leere.
    Und ein Schiff kam.
    Es

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