Blut - Skeleton Crew
Leo. »Okay, du musst ja deswegen nicht gleich ausrasten.«
Zweimal auf dem Hin- und einmal auf dem Rückweg landete er im Straßengraben. Als er schließlich wieder in der hellen, warmen Werkstatt ankam, sangen beide das Schullied. Bob hatte es mit Hängen und Würgen geschafft, den Chrysler auf die Hebebühne zu bekommen. Er lief darunter herum und betrachtete die rostige Auspuffanlage.
»Da sind Löcher in deinem Rohr«, sagte er.
»In meinem Rohr sind keine Löcher«, sagte Rocky. Das fanden sie beide scheißkomisch.
»Da ist das Bier!«, verkündete Leo, stellte den Kasten ab, setzte sich auf einen Reifen und döste sofort ein. Er hatte unterwegs schon drei gekippt, damit der Kasten leichter wurde.
Rocky gab Bob ein Bier und nahm sich selbst eins.
»Um die Wette? Wie in alten Zeiten?«
»Logo«, sagte Bob. Er lächelte verkniffen. Vor seinem geistigen Auge sah er sich am Steuer eines niedrigen, stromlinienförmigen Formel Eins-Rennwagens, eine Hand lässig am Lenkrad, während er auf das Startsignal der Flagge wartete, die andere berührte seinen Talisman – den Motorhaubenschmuck eines 59er Mercury. Er hatte Rockys Auspuffrohr und seine schwabbelige Frau mit ihren Transistorlockenwicklern vergessen.
Sie öffneten ihre Bierdosen und leerten sie. Es war drückend heiß in der Werkstatt; beide warfen die Dosen auf den rissigen Beton und hoben gleichzeitig die Mittelfinger. Ihre Rülpser hallten von den Wänden wider wie Gewehrschüsse.
»Genau wie in alten Zeiten«, sagte Bob schwermütig.
»Nichts ist wie in alten Zeiten, Rocky.«
»Ich weiß«, stimmte Rocky zu. Er suchte nach einem tiefsinnigen Gedanken und fand ihn. »Wir werden täglich älter, Schweißi.«
Bob seufzte und rülpste wieder. Leo furzte in der Ecke und begann »Get Off My Cloud« zu summen.
»Versuchen wir’s noch mal?«, fragte Rocky und gab Bob ein frisches Bier.
»Von mir aus«, sagte Bob. »Von mir aus, Rocky, alter Junge.«
Der Kasten, den Leo geholt hatte, war gegen Mitternacht leer, und der neue Inspektionsaufkleber war krumm und schief auf der linken Seite von Rockys Windschutzscheibe festgeklebt. Rocky hatte die notwendigen An gaben selbst auf dem Aufkleber eingetragen und darauf geachtet, die Ziffern sorgfältig von den öligen, abgegriffenen Zulassungspapieren abzuschreiben, die er nach langem Suchen im Handschuhfach gefunden hatte. Er musste sorgfältig arbeiten, weil er alles dreifach sah. Bob saß mit gekreuzten Beinen wie ein Yoga-Meister auf dem Boden, eine halbvolle Dose I.C. vor sich. Er sah starr ins Leere.
»Du hast mir echt das Leben gerettet, Bob!«, sagte Rocky. Er kickte Leo in die Rippen, um ihn aufzuwecken. Leo knurrte und schrie auf. Seine Lider flackerten kurz, fielen zu und wurden bei Rockys nächstem Fußtritt weit aufgerissen.
»Sind wir schon daheim, Rocky? Wir …«
»Nur keine Aufregung, Bobby«, rief Rocky fröhlich. Er schob die Finger unter Leos Achselhöhle und zog kräftig. Leo kam schreiend auf die Füße. Rocky trug ihn halb um den Chrysler herum und schob ihn auf den Beifahrersitz. »Wir kommen mal wieder zur Inspektion vorbei.«
»Das waren noch Zeiten«, sagte Bob. Seine Augen schimmerten feucht. »Seit damals wird alles immer schlimmer und schlimmer, weißt du das?«
»Ich weiß«, sagte Rocky. »Alles ist beschissen geworden. Aber halt einfach den Daumen drauf und mach nichts, was ich nicht auch machen wür …«
»Meine Frau hat seit anderthalb Jahren nicht mehr mit mir gevögelt«, sagte Bob, aber seine Worte wurden von der hustenden Fehlzündung von Rockys Chrysler übertönt. Bob kam auf die Füße und beobachtete, wie das Auto rückwärts aus der Werkstatt fuhr und dabei etwas Holz von der linken Seite der Tür abspliss.
Leo hing aus dem Fenster und lächelte wie ein Einfaltspinsel. »Komm mal in der Wäscherei vorbei, Knallkopf. Ich zeig dir das Loch in meinem Rücken. Ich zeig dir meine Räder. Ich zeig dir …« Rockys Arm schoss plötzlich wie aus der Pistole geschossen heraus und zog ihn ins dunkle Wageninnere.
»Tschüs, Kumpel!«, rief Rocky.
Der Chrysler fuhr einen betrunkenen Slalom um die drei Zapfsäulen und verschwand in der Nacht. Bob sah ihm nach, bis die Rücklichter nur noch Glühwürmchen glichen, dann ging er vorsichtig in die Werkstatt zurück. Auf seiner chaotischen Werkbank lag das Chromornament eines alten Wagens. Er begann damit herumzuspielen, und bald weinte er bittere Tränen um die alten Zeiten. Später, kurz nach drei Uhr morgens,
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