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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Mrs. Harham, die ein Stück weiter wohnte und Omi manchmal besuchte, in dieser Nacht im Schlaf gestorben war.
    Omis »schlimme Anfälle«.
    Hexenwahn?
    Hexen konnten angeblich zaubern. Das machte sie zu Hexen, oder nicht? Vergiftete Äpfel. Prinzen in Frösche. Lebkuchenhäuschen. Abrakadabra. Presto-Verwandlico. Zauberei.
    Verstreute Teile eines unbekannten Puzzles fügten sich wie durch Zauberei in Georges Kopf zusammen.
    Magie, dachte George und stöhnte.
    Wie sah das Bild aus? Es war Omi, natürlich, Omi und ihre Bücher, Omi, die aus der Stadt gejagt worden war, Omi, die keine Babys hatte bekommen können und dann doch welche bekommen hatte, Omi, die nicht nur aus der Stadt, sondern auch aus der Kirche gejagt worden war. Das Bild war Omi, gelb und fett und runzlig und schneckenähnlich, den zahnlosen Mund zu einem eingefallenen Grinsen verzogen, die blinden Augen irgendwie listig und verschlagen; auf dem Kopf hatte sie einen schwarzen konischen Hut, der mit silbernen Sternen und funkelnden babylonischen Halbmonden geschmückt war; an ihre Füße schmiegten sich geschmeidige schwarze Katzen mit Augen so gelb wie Urin; es roch nach Schwein und Blindheit, Schwein und Verbranntem, uralten Sternen und Kerzen so dunkel wie die Erde, in der Särge lagen; er hörte Worte aus alten Büchern, und jedes Wort war wie ein Stein und jeder Satz wie eine Gruft in einem stinkenden Beinhaus, und jeder Abschnitt wie eine albtraumhafte Karawane von Pesttoten, die zum Verbrennungsort gebracht wurden; sein Auge war das Auge eines Kindes, und in diesem Moment schlug er es weit auf und warf einen verstehenden Blick in das Wesen der Finsternis.
    Omi war eine Hexe gewesen, genau wie die Böse Hexe im Zauberer von Oz. Und jetzt war sie tot. Dieser gurgelnde Laut, dachte George mit wachsendem Entsetzen. Dieser gurgelnde, schnarchende Laut war ein … ein … Todesröcheln gewesen.
    »Omi?«, flüstert er und dachte irre: Ding-Dong, die böse Hexe ist tot.
    Keine Reaktion. Er hielt die hohle Hand vor Omis Mund. Kein Atem rührte sich in Omi. Es war völlig windstill. Schlaffe Segel, kein Kielwasser hinter dem Schiff. Georges Angst ließ ein wenig nach, und er versuchte, logisch zu denken. Ihm fiel ein, dass Onkel Fred ihm einmal gezeigt hatte, wie man die Windrichtung mit einem feuchten Finger feststellen kann, und er leckte die ganze Handfläche ab und hielt sie vor Omis Mund.
    Immer noch nichts.
    Er wollte zum Telefon gehen und Dr. Arlinder anrufen, aber dann blieb er stehen. Angenommen, er rief den Doktor, und sie war gar nicht tot? Dann würde er mit Sicherheit Ärger kriegen.
    Fühl ihren Puls.
    Auf der Türschwelle blieb er stehen und sah zögernd auf die baumelnde Hand. Der Ärmel von Omis Nachthemd war hochgerutscht und enthüllte das Handgelenk. Aber das hatte keinen Sinn. Als er einmal beim Arzt gewesen war, hatte die Krankenschwester ihre Finger auf sein Handgelenk gedrückt, um seinen Puls zu fühlen, und George hatte es selbst probiert und nichts finden können. Seinen eigenen ungeübten Fingern zufolge hätte er tot sein müssen.
    Außerdem wollte er Omi eigentlich nicht … na ja … berühren. Nicht einmal, wenn sie tot war. Besonders nicht, wenn sie tot war.
    George stand unter der Tür und sah von Omis regloser Gestalt zum Telefon an der Wand neben Dr. Arlinders Nummer und wieder zu Omi. Er würde doch anrufen müssen. Er würde …
    … einen Spiegel holen!
    Logo! Wenn man einen Spiegel anhauchte, beschlug er. Er hatte einmal in einem Film gesehen, wie ein Arzt so einen Bewusstlosen überprüfte. Neben Omis Zimmer lag das Bad, und George lief hinein und holte Omis Schminkspiegel. Eine Seite war normal die andere Seite vergrößerte, damit man leichter Härchen zupfen und so was machen konnte.
    George trug ihn zum Bett und hielt eine Seite des Spiegels so weit hinunter, dass er Omis schlaffen, offenen Mund fast berührte. Er hielt ihn so, während er bis sechzig zählte, Omi aber nicht aus den Augen ließ. Nichts veränderte sich. Er war sich sicher, dass sie tot war, noch bevor er den Spiegel von ihrem Mund nahm und die Oberfläche betrachtete, die völlig klar und nicht beschlagen war.
    Omi war tot.
    George stellte erleichtert und überrascht fest, dass sie ihm jetzt leidtun konnte. Vielleicht war sie eine Hexe gewesen. Vielleicht nicht. Vielleicht hatte sie nur geglaubt, sie wäre eine Hexe. Wie dem auch gewesen sein mochte, jetzt war sie nicht mehr. Er erkannte mit dem Begriffsvermögen eines Erwachsenen, dass

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