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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Er hatte Ende Januar eine Grippe bekommen, wollte aber keinen Arzt zu sich lassen und erzählte allen, es wäre »nur eine Erkältung, weil ich ohne meinen Schal rausgegangen bin, um die Post zu holen«; und dann legte er sich ins Bett und starb, bevor man ihn aufs Festland bringen und an all jene Apparaturen anschließen konnte, die in den Krankenhäusern für Leute wie Freddy bereitstanden. Sein Sohn George, ein Säufer ersten Ranges im zumindest für Säufer fortgeschrittenen Alter von achtundsechzig Jahren, fand Freddy mit den Bangor Daily News in einer Hand und seiner ungeladenen Remington neben der anderen. Offenbar hatte er sie gerade reinigen wollen, als er starb. George Dinsmore begab sich auf eine dreiwöchige Sauftour, die von jemand finanziert wurde, der wusste, dass George die Lebensversicherung seines Vaters bekommen würde. Hattie Stoddard ging überall herum und erzählte jedem, der es hören wollte, dieser alte George Dinsmore wäre ein Sünder und eine Schande, nicht besser als ein Penner.
    Überall kursierte die Grippe. Die Schule schloss für zwei Wochen und nicht wie sonst üblich für nur eine, weil so viel Kinder krank waren. »Ohne Schnee gibt’s jede Menge Bazillen«, sagte Sarah Havelock.
    Gegen Ende des Monats, gerade als die Inselbewohner anfingen, trügerische Hoffnungen in den März zu setzen, bekam auch Alden Flanders die Grippe. Fast eine Woche lief er damit herum, dann legte er sich mit über achtunddreißig Grad Fieber ins Bett. Wie Freddy, wollte auch er keinen Arzt haben, und Stella keifte und rackerte und versorgte ihn. Alden war zwar nicht so alt wie Freddy, aber im Mai wurde er sechzig.
    Schließlich fiel dann doch noch Schnee. Fünfzehn Zentimeter am Valentinstag, weitere fünfzehn am 20. Februar, und am 29. bei starkem Nordwind gleich dreißig. Der Schnee lag weiß und seltsam wie eine Schäfchenwiese zwischen Bucht und Festland, wo um diese Jahreszeit seit Menschengedenken nur graues tosendes Wasser gewesen war. Viele Leute gingen zu Fuß zum Festland und zurück. Man brauchte nicht einmal Schneeschuhe, weil der Schnee zu einer festen, glitzernden Kruste gefroren war. Sie tranken vielleicht auch einen Whisky, dachte Stella, allerdings nicht in Dorrit’s Tavern, denn die war 1958 abgebrannt.
    Und sie sah Bill viermal. Einmal sagte er: »Du solltest bald kommen, Stella. Wir werden tanzen gehen. Was meinst du?«
    Sie konnte nichts sagen. Sie hatte sich die Faust in den Mund gesteckt.
     
    »Hier gab es alles, was ich jemals wollte oder brauchte«, hätte sie ihnen sagen können. »Wir hatten das Radio, und jetzt haben wir das Fernsehen, und das ist alles, was ich von der Welt jenseits der Meerenge will. Ich hatte jahraus, jahrein meinen Garten. Und Hummer? Nun, wir hatten hinten auf dem Herd immer einen Hummereintopf stehen, und wenn der Pfarrer uns besuchen kam, stellten wir den Topf in die Speisekammer, damit er nicht sah, dass wir die ›Arme-Leute-Suppe‹ aßen.
    Ich habe gutes und schlechtes Wetter erlebt, und wenn es je Zeiten gab, wo ich mich fragte, wie es wohl sein mochte, wirklich im Sears herumzuschlendern anstatt nur nach dem Katalog zu bestellen, oder wie es sein mochte, in einen jener Supermärkte zu gehen, die ich im Fernsehen gesehen habe, anstatt im hiesigen Laden einzukaufen oder Alden aufs Festland rüberzuschicken, wenn etwas Besonderes wie ein Weihnachtskapaun oder ein Osterschinken benötigt wurde … oder wenn ich mir je wünschte, einmal, nur einmal auf der Congress Street in Portland zu stehen und all die Leute in ihren Autos und auf den Gehwegen zu sehen, mehr Leute auf einen Blick als die Insel heute Bewohner zählt … wenn ich mir solche Dinge je gewünscht habe, so habe ich dies hier doch stets vorgezogen. Ich bin nicht seltsam. Ich bin keine Ausnahme, oder für eine Frau meines Alters bin ich nicht exzentrisch. Meine Mutter pflegte manchmal zu sagen: »Der ganze Unterschied liegt zwischen Wollen und Haben, und das glaube ich aus tiefster Seele. Ich glaube, es ist besser tief zu pflügen als breit.
    Dies ist meine Heimat, und ich liebe sie.«
     
    Eines Tages im März, als der Himmel so weiß und so beängstigend war wie ein Gedächtnisverlust, saß Stella Flanders zum letzten Mal in ihrer Küche, schnürte zum letzten Mal ihre Stiefel über ihren mageren Waden und wickelte sich zum letzten Mal ihren leuchtendroten Wollschal (Hattie hatte ihn ihr vor drei Jahren zu Weihnachten geschenkt) um den Hals. Unter ihrem Kleid trug sie eine Garnitur

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