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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gelehnt hatte und mir seine Alkoholfahne ins Gesicht blies. Nicht einfach Atome, sondern andere Atome. Und jetzt baumelten diese Körper am Heizungsrohr. Die geneigten Köpfe. Die herabbaumelnden Schuhe. Die wie Grillwürste heraushängenden Zungen.
    Ich stellte mit neuerlichem Entsetzen fest, dass sich in meinem Innern neue Pforten der Wahrnehmung auftaten. Neu? Nicht neu. Alte Pforten der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung eines Kindes, das noch nicht gelernt hat, sich dadurch zu schützen, dass es die selektive Wahrnehmung entwickelt, die neunzig Prozent des Universums von ihm fernhält. Kinder sehen alles, worauf ihr Blick zufällig fällt, hören alles, was im Hörbereich ihrer Ohren vernehmbar ist. Aber wenn Leben gleichzusetzen ist mit einer fortwährenden Vertiefung des Bewusstseins (wie auf einem gestickten Wandspruch behauptet wird, den meine Frau in der Highschool gearbeitet hat), so bedeutet es gleichzeitig auch eine fortwährende Verminderung der Fantasie.
    Schrecken erweitert Perspektive und Wahrnehmung. Das Entsetzliche bestand in dem Wissen, dass ich auf einen Ort zusteuerte, den die meisten von uns verlassen, wenn sie aus den Windeln herauskommen und Trainingshosen anziehen. Ich konnte dieses Entsetzen auch auf Ollies Gesicht sehen. Wenn die Rationalität zusammenzubrechen droht, können die Schaltkreise des menschlichen Gehirns überlastet werden. Ganglien werden heiß und fiebrig. Halluzinationen werden Wirklichkeit: die Quecksilberpfütze an der Stelle, wo die Perspektive den Eindruck erweckt, als würden sich Parallelen schneiden, ist wirklich da; die Toten wandeln und reden; eine Rose fängt an zu singen.
    »Ich habe mindestens zwei Dutzend Leute über dieses Thema reden hören«, fuhr Ollie fort. »Justine Robards. Nick Tochai. Ben Michaelson. In Kleinstädten ist es unmöglich, etwas geheim zu halten. Es kommt doch ans Licht. Manchmal ist es wie bei einer Quelle – sprudelt einfach aus der Erde, und niemand hat eine Ahnung, woher es gekommen ist. Man hört zufällig etwas in der Bücherei und gibt es weiter, oder in der Werft in Harrison oder Gott weiß wo sonst. Jedenfalls habe ich den ganzen Frühling und Sommer über nur Arrowhead-Projekt gehört, Arrowhead-Projekt, Arrowhead-Projekt.«
    »Aber diese beiden«, sagte ich. »Mein Gott, Ollie, sie waren noch Kinder.«
    »Sie waren Kinder in Vietnam, die den Gegnern die Ohren abschnitten. Ich war dort. Ich habe es gesehen.«
    »Aber … was hätte sie zu dieser Tat treiben sollen?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht wussten sie etwas. Vielleicht hatten sie nur irgendeinen Verdacht. Jedenfalls muss ihnen bewusst gewesen sein, dass die Leute hier ihnen irgendwann Fragen stellen würden. Wenn es irgendwann geben wird.«
    »Wenn Sie recht haben, muss es etwas wirklich Schlimmes sein«, sagte ich.
    »Der Sturm«, sagte Ollie mit seiner sanften, ausgeglichenen Stimme. »Vielleicht hat er dort irgendwas freigesetzt. Vielleicht hat es einen Unfall gegeben. Sie haben dort mit irgendwas herumexperimentiert. Einige Leute behaupten, dort würde mit Hochenergielasern und Masern herumgespielt. Manchmal fällt auch das Wort Atomenergie. Und nehmen wir mal an … nehmen wir nur einmal an, dass sie ein Loch in eine andere Dimension geschlagen haben?«
    »Das sind doch Hirngespinste«, sagte ich.
    »Diese beiden auch?«, fragte Ollie und deutete auf die beiden Leichen.
    »Nein. Die Frage ist: Was sollen wir tun?«
    »Ich glaube, wir sollten sie abschneiden und verstecken«, antwortete er prompt. »Sie unter einen Stapel von irgendwas legen, an dem die Leute kein Interesse haben werden – Spülmittel, Hundefutter oder so was Ähnliches. Wenn diese Sache bekannt wird, wird alles nur noch schlimmer werden. Deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen, David. Ich wusste, dass Sie der Einzige sind, dem ich voll und ganz vertrauen kann.«
    Ich murmelte: »Es erinnert mich an die Naziverbrecher, die in ihren Zellen Selbstmord begingen, nachdem der Krieg verloren war.«
    »Ja. Ich hatte den gleichen Gedanken.«
    Wir verstummten, und plötzlich waren jene leisen, schabenden Geräusche an der Außenseite der Ladentür wieder zu hören – das Geräusch tastender Tentakel, die sacht darüberstreichen. Wir rückten zusammen. Ich bekam eine Gänsehaut.
    »Okay«, sagte ich.
    »Wir erledigen das so schnell wie möglich«, sagte Ollie. Sein Saphirring funkelte, als er die Taschenlampe bewegte. »Ich möchte hier raus.«
    Ich betrachtete die Stricke. Sie hatten die gleiche Sorte

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