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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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quietschte kreischend in den Angeln, hatte einen Tropfen Öl bitter nötig. Der Geruch nach Essigessenz oder scharfen Putzmitteln hing in der Luft, der Boden glänzte noch feucht vom Wischen.
    Alle Kabinen waren frei, der Raum verlassen. Erik ging in die hinterste Ecke und schloss die dünne Türe hinter sich. Das klinisch-kalte Licht der Neonröhren spiegelte sich im weißen Porzellan wieder.
    Ein Auftragsmörder!
    Erik schüttelte den Kopf. Sein rational denkendes Gehirn kam langsam wieder in den gewohnten Trott, verlor die unkontrollierbare Emotionalität. Im Endeffekt gehörte der Rabe nun fast zur Familie oder Erik zu ihm und Natalja. Es war auch egal, die Wirkung zählte. Alexander würde ihn und Elias nicht mehr töten. Erik spürte es in seinem rumorenden Magen. Die Familie war für diesen Mann ein Heiligtum, eine Bastion, eine andere Mentalität aus dem Osten, die man in Deutschland schwer nachvollziehen konnte. Familie bedeutete Alles.
    Trotz der nun stechenden Magenschmerzen riss Erik gewissenhaft dünne Blätter von der Klopapierrolle, legte sie ordentlich auf die Klobrille. Erst als seine Arbeit getan war und kein Weiß des Plastiks mehr hervorlugte, ließ er die Hose runter und setzte sich.
    Alexander Orlow oder wie auch immer er nun hieß, war für Elias, Natalja und ihn keine Bedrohung mehr; im Gegenteil. Vielleicht war er der einzige Mann, der sie alle vor Reimund schützen konnte. Keiner wusste, zu was sein alter Freund mit seinen Klosterbrüdern fähig war. Zumindest hatte Reimund schon einen Killer engagiert, warum nicht auch einen zweiten, wenn der erste aus seiner Sicht versagt hatte. Alexander war mit seinem Wissen und seiner Ausrüstung der beste Leibwächter, den sie sich wünschen konnten.
    Gerade als Erik einen Bob in die Bahn setzte, zerriss das Läuten seines Handys die Stille des Kloraumes. Neugierig kramte er es aus der Jeans.
    Unbekannter Anrufer.
    Er nahm ab.
    »Ja?« fragte er zögerlich. Er wollte erst einmal den Anrufer kommen lassen.
    »Herr Ritter? Sind Sie das?« Erik kannte die Männerstimme nicht. Vorsichtshalber sagte er gar nichts. »Hier ist Hauptkommissar Salzing«, fuhr der Anrufer nach einer Pause fort. »Ich müsste Sie dringend sprechen.«
    Erik legte auf.
    Die Polizei konnte er momentan am wenigsten gebrauchen. Was hätte er ihnen auch erzählen sollen? Die Wahrheit? Die Geschichte hörte sich doch so ersonnen und erlogen an, dass sie kein Beamter glauben würde. Abgesehen davon hätte er sich selbst belasten müssen. Das war unmöglich! Zumindest aber wusste er nun, dass man die Tote im Krankenhaus gefunden hatte. Die Polizei würde mit Sicherheit einen oder zwei Polizisten schon aus Routine bei Elias lassen. Somit war er wenigstens unter Polizeischutz und nicht vollkommen hilflos.
    Die Erinnerung an einen Krimi durchzuckte Erik, den er erst vor kurzem am Freitagabend gesehen hatte. Das ermittelnde Duo hatte dort ständig Verdächtige per Handy geortet.
    Mit fliegenden Fingern löste Erik den Akku aus seinem Mobiltelefon. So leicht wollte er es ihnen nicht machen!
    Fünf Minuten später stand er frierend vorm Wohnwagen. Er klopfte leise, dann trat er ohne eine Antwort abzuwarten ein.
    Die Szene hatte sich wenig verändert. Alexander hatte seinen mit Waffen gespickten Holster abgelegt und über die Garderobe gehängt. Eine Pistole lag griffbereit auf dem Tisch neben seinem immer noch leeren Teller.
    Natalja hatte die Plätze gewechselt, saß nun neben ihrem Bruder. Tränen liefen über ihre Wangen, während sie mit dem Kopf an seiner breiten Schulter lehnte. Alexander hatte einen Arm um seine Schwester gelegt, streichelte zärtlich ihr goldenes Haar.
    Erik spürte sofort, dass die beiden ungleichen Geschwister, die sich noch nie zuvor gesehen hatten, einfach etwas Zeit für sich selbst benötigten. Ohne Worte schnappte er sich seine Jacke, die er achtlos auf das Polster geworfen hatte. Unter Alexanders forschendem Blick kramte er eine Packung Zigarillos hervor, die er – zu seinem Glück – vor ihrem Aufbruch noch hastig eingesteckt hatte.
    Erik wackelte bedeutungsvoll mit der Schachtel, was nur mit einem verstehenden Nicken des Raben quittiert wurde.
    Der beißende Nebel umfing Erik erneut, doch dieses Mal hatte er seine Jacke als wirkungsvollen Schutzschild um. Eine dunkle Hecke begrenzte die Rückseite des Stellplatzes, ein kleiner Holzzaun die Vorderseite. Hinter dem Wohnwagen, jenseits der Hecke, erhob sich die Mutter aller Eichen in den Himmel, riesig und alt,

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