Blut und Harz
eine Liste mit Mitwissern vor mir liegen, doch bei dieser Liste gibt es ein entscheidendes Problem: Es sind zu viele.«
Reimund schwieg für einen Augenblick. Irgendwie hatte er beinahe geahnt, dass es so kommen musste. Nichts ist im Leben jemals einfach, hatte er einmal gelesen. Seufzend blickte er aus dem Fenster, starrte auf vorbeihuschende Autos und Wohnhäuser.
»Dann beseitigen Sie alle«, sagte er, den Blick in die Ferne gerichtet.
»Acht Personen ist kein gemütlicher Abendspaziergang!« kam sofort der barsche Konter. „Dazu gab es im Krankenhaus einen Zwischenfall, wo eine Krankenschwester getötet wurde. Also neun Personen. Hören Sie zu, Bruder Raphael! Ich verändere nun die Regeln! Ich will die Hälfte des Geldes wie gewohnt vorher. Bei dieser Anzahl gehe ich nicht das exorbitant hohe Risiko ein, am Ende ohne dazusitzen. Bei zwei oder drei wäre ich es eingegangen, aber nicht bei neun! Treiben Sie das Geld auf, dann mache ich mich an die Arbeit. Solange wird Erik Ritter noch leben«, fügte der Rabe entschieden hinzu.
Innerlich stöhnend schloss Reimund die Augen. So viele! Verflucht sollst du sein, Erik! Du sollst bis ans Ende der Welt in der Hölle schmoren! Sonst hast du doch deine Geschäftsgeheimnisse auch nicht in die Welt hinausposaunt. Du wirst wohl auch langsam alt. Fluchen half aber auch nichts. Jetzt wussten schon zu viele davon. Die Arbeit von Jahrzehnten drohte den Bach hinunterzugehen. Grimmig wechselte er das Handy in die andere Hand.
»Töten Sie ihn, dann kriegen Sie Ihr Geld im Voraus für die anderen. Aber eines muss Ihnen klar sein: Eine so große Summe kann ich unmöglich an einem Samstagabend auftreiben. Wie stellen Sie sich das vor? Die Geldscheine wachsen nun mal nicht im Klostergarten.« Nein, dieses Problem konnte er so überhaupt nicht mehr lösen. Reimund hatte gedacht, dass er mit dem Einsatz eines Killers wertvolle Kraft sparen würde. Das Experiment war aber vollkommen nach hinten losgegangen. Ihm blieb nichts Anderes übrig, als Bruder Johannes zu schicken, der sich der Lösung annahm, bis er selbst zurück war. Energieverbrauch hin oder her. Dafür musste er aber die acht Mitwisser in Erfahrung bringen, sonst konnten sie bei null anfangen. »Und wen bitte hat Erik alles informiert? Acht Personen!«
»Sie enttäuschen mich, Bruder Raphael!« zischte der Rabe zur Antwort. »Für dumm brauchen Sie mich nicht zu halten. Informationen und Leichen gibt es ab jetzt nur gegen Bares. Wenn Sie nicht zahlen wollen oder können, dann vergessen Sie es. Ansonsten rufen Sie mich an, mit den Infos zur Geldübergabe. Andernfalls: Sie kennen mich nicht, ich kenne Sie nicht. Von Ihrem Kloster habe ich nie etwas gehört … und die Krankenschwester geht aufs Haus!«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Entgeistert starrte Reimund auf das Display. Er überlegte. Seine Menschenkenntnis sagte ihm, dass etwas passiert war. Etwas Tiefgreifendes.
So hätte dieser durch und durch professionelle Killer normal nicht reagiert. Niemals. Tief in seinem Inneren wusste Reimund plötzlich, dass Erik etwas damit zu tun hatte. Das Wissen war einfach von einem Augenblick zum anderen da. Vielleicht aufgrund ihrer alten Freundschaft. Erik lebte noch, er musste dem Raben die Mitwisser genannt haben und er hatte ihn offenbar von sich überzeugt. So war Erik immer gewesen. Menschen manipulieren, intrigieren, für seine Zwecke missbrauchen - typisch Ritter.
»Scheiße!« fluchte er lauthals.
Der braungebrannte Spanier hinterm Steuer, dessen Goldkettchen um den Hals glitzerte, ließ wieder seine schneeweißen Zähne spitzen.
»¡Coño!« Er grinste breit. »Schei-ße en español!«
Reimund verdrehte die Augen. Er wollte gerade etwas erwidern, als das ausladende Flughafengebäude zum Vorschein kam. Es lag keine zehn Kilometer vom Strand entfernt. Er schluckte seine scharfe Antwort hinunter, kramte weitere zwanzig Euro aus dem Geldbeutel. Er hatte keine Zeit für Wechselgeld. Der Wagen hielt, der Spanier nahm grinsend das Geld entgegen und Reimund eilte zielstrebig in die Check-In Halle davon.
Nachdem er am Schalter seine Papiere vorgelegt und seine Gate-Nummer erhalten hatte, spurtete er im Laufschritt Richtung Flugzeug.
Während er an Klamottenläden, Parfümerien und Fast-Food-Imbissen vorbeihuschte, wählte er die Nummer von Bruder Johannes, der in seiner Abwesenheit als stellvertretender Abt erreichbar war.
»Raphael!« wurde er mit Johannes scharrender Stimme begrüßt. »Du meldest dich
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