Blut und Harz
mit wild rudernden Armen nach hinten.
Der Aufprall war halb so schlimm. Dicke Sägespäne bedeckten den festgestampften Erdboden und dämpften seinen Sturz. Dann dämpfte Eriks junger Körper den Sturz des Feuerholzes.
Ein Drittel des Stapels rutschte ab, polterte knackend über den Jungen hinweg.
Fast vollständig begraben unter einer Schicht aus wuchtigen Astschnitten und Scheiten lag Erik am Boden, den Blick panisch an die Decke geheftet. Er versuchte zu schreien, doch die schweren Holzstücke drückten ihm die Luft aus den Lungen. Er schaffte es gerade, flach ein-und auszuatmen. Für mehr reichte ihm der Atem nicht.
»Mama!« hauchte er. »Papa!«
Niemand antwortete. Niemand erhörte seine geflüsterten Rufe.
Er brabbelte weiter bis seine Stimme heiser war und den Dienst versagte. Anschließend war er wimmernd und weinend im dunkler werdenden Schuppen gelegen, machtlos, hatte heiße Tränen vergossen, gedacht, er würde jetzt sterben. Damals war er gerade acht Jahre alt gewesen.
Erst nach Stunden, die Dunkelheit des Abends war bereits hereingebrochen, hatte ihn sein Vater Burkard und seine Mutter Linda mit entsetzten Schreien gefunden und befreit. Sie hatten ihren Sohn nur einen Nachmittag alleine gelassen, was selten vorkam, und schon war es passiert.
Das Wunder aber war, dass der kleine Erik außer ein paar Prellungen und Schürfwunden keine Verletzungen davongetragen hatte. Sein schmächtiger Körper hatte den schweren Holzstücken getrotzt.
Doch das Gefühl, hilflos eingeklemmt zu sein, zerquetscht zu werden unter Tonnen von Holz, war in diesem Moment das gleiche wie vor Jahrzehnten. Alles war wieder da. Heiße Panik drohte Erik zu übermannen. Er spürte, dass seine Atmung noch flacher wurde, angefacht durch die Angst.
Beruhig dich!, versuchte er sich selbst gut zu zureden.
Bald kommt Alexander zurück und befreit dich. Es kann nicht lange dauern!
Die Welt wurde abrupt noch dunkler.
Erik öffnete überrascht die Augen, sah, dass sich die Gestalt eines Mannes zwischen ihn und das Licht der Laterne geschoben hatte. Dessen Schatten war über seine Augen gefallen.
»Alexander!« stöhnte er erleichtert.
Dann bemerkte er, dass es nicht Alexander war.
Ein Mann, mit türkisch rasiertem Kinn und Backenbart, beugte sich über ihn, winkte hastig einem zweiten Schemen, der in sein Blickfeld trat. Beide trugen neonbunte Jogginganzüge, deren Polyesteroberflächen im milchigen Licht wie Alufolie glänzten.
»Hier Mann!« rief der eine mit schriller Stimme. »Blut! Ruf Doktor!«
Erik schüttelte protestierend den Kopf. »Kein Arzt! Bitte kein Arzt!« stöhnte er. »Ich bin nur eingeklemmt. Können Sie den Ast herunterheben?« Ein Arzt war gerade das Letzte, was er gebrauchen konnte. Spätestens dann würde hier die Polizei eintrudeln und was daraufhin mit Alexander geschah, soweit wollte er gar nicht denken.
Die markant geschnittenen Gesichtszüge des Mannes sahen ihn verständnislos an. Als er Eriks gestikulierenden Arm realisierte, der auf den Ast zeigte und eindeutige Gesten vorführte, nickte er verstehend.
»Chris! Komm! Baum wegstemmen«, sagte er zu seinem Kumpanen.
Sein Begleiter trat mit weit aufgerissenen Augen nickend hinzu. Gemeinsam packten sie den schweren Ast, der Erik auf den Boden fesselte.
Unter lautem Ächzen, begleitet vom Rascheln hunderter Blätter, stemmten sich die beiden Männer gegen das Ungetüm von Ast, wuchteten es von Erik herunter.
Als die Last von seinem Körper wich, strömte endlich wieder Luft tief in seine Lungen.
Das tote Holz ließen die beiden Männer krachend neben Erik zurück auf den Boden sinken.
Erik war es vollkommen egal. Er pumpte den klirrenden Sauerstoff in seine Lungen, dehnte seinen Brustkorb, fühlte die Fülle seines Atemvolumens.
Ein Hustenanfall überkam ihn dabei, was ihn prustend in die Seitenlage zwang.
Erneut hörte er: »Ruf Doktor!«
»Kein Arzt!« presste Erik so laut es ging hervor. Dann blieb er keuchend und nach Atem schnappend liegen.
Kapitel 19
Wo sind sie? Das kann doch nicht sein? So schnell kann er mit einer Entführten im Schlepptau nicht vorankommen! Unmöglich!
Alexanders Augen suchten in hektischen Bewegungen den Waldrand ab, der sich in einiger Entfernung in milchiger Trübnis verlor.
Er sah nichts außer Nebelschwaden, wogenden Schatten und Stämmen mit knorrigen Ästen, die nur schemenhaft zu erahnen waren. Kein Anzeichen von zwei Personen.
Auch die Wiese, die sich hinter dem Wohnwagenstellplatz, der
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