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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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niedergedrückten Hecke und dem Waldrand erstreckte, lag wie ein verwirrendes Geheimnis vor ihm. Normal hätte man Spuren erkennen müssen, niedergedrückte Büschel, geknickte Halme, sichtbare Streifen im Gras. Doch die silbrig matte Wiese schien unberührt zu sein, der feuchte Tau glänzte höhnisch.
    Am Rande seiner Wahrnehmung schimmerte etwas hell auf, ein knochenbleicher Fleck. Es war nur für den Bruchteil einer Sekunde in seinem Augenwinkel zu sehen, doch Alexander wechselte sofort seine Richtung.
    Mit gezückter Pistole hastete er durch die Dunkelheit, auf die Stelle zu, wo er gerade gemeint hatte, etwas zu erkennen.
    Vielleicht auch nur eine Sinnestäuschung, ein Fetzen Nebel, herumgewirbelt durch einen Windhauch.
    Aber Alexander blieb gar nichts anderes übrig. Vielleich war der Schimmer ihr Pullover gewesen, ihre Jeans oder ihr Gesicht; irgendetwas Menschliches, einen Tick heller als die dunklen Büsche und Bäume.
    Sein Atem ging schwer im Gleichklang seiner Schritte, doch im Angesicht der gebrochenen Rippe erstaunlich gut. Vielleicht hatte er sie ja doch nur heftig geprellt. Manchmal merkte man den Unterschied nicht. Die Schmerzen konnten fast identisch sein. Nur ein Arzt würde eine stichhaltige Diagnose liefern können. Ein Arzt war aber purer Luxus und Alexanders geringste Sorge.
    Angestrengt lauschend bahnte er sich weiter seinen Weg durch das nicht gemähte Gras, doch er hörte nichts. Stattdessen zerrten die dichten Büschel wie glitschige Hände an seinen Hosenbeinen und der unebene Boden ließ ihn immer wieder straucheln. Das schaurige Bild der moorigen Totensümpfe, durch die Gollum seine Begleiter Frodo und Sam in Herr der Ringe führte, erschien vor seinen Augen. In Echt fehlten jetzt nur noch die bleichen Toten, die ihn zwischen dem sumpfigen Gras heraus musterten und ins Reich der Toten herabzuziehen versuchten. Alexander erschauerte und beschleunigte noch weiter seine Schritte. Noch nie in seinem Leben war ihm eine ordinäre Wiese so beschwerlich vorgekommen. Ihn beschlich das unheimliche Gefühl, als wolle die Wiese ihn bremsen und daran hindern, schnell voranzukommen.
    Doch dann war endlich der Waldrand heran.
    Mit einem großen Schritt setzte er über einen kleinen Graben hinweg, dann stand er zwischen den Stämmen.
    Alexander blieb stehen. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er um sich, doch nirgends war jemand zu sehen. Alexander schloss die Augen. Er konzentrierte seine Sinne nur auf sein Gehör. Er hatte seine auditive Wahrnehmung über lange Jahre geschärft. Mit verbundenen Augen war er durch seine Wohnung getappt, hatte sich zeitweise sogar als Blinder ausgegeben und sich in die Umwelt gewagt, solange bis er sich ohne seine Augen zu Recht fand. Mitunter ein Grund, warum er als Killer so erfolgreich war und noch lebte. In der Dunkelheit der Nacht hatte man immer einen entscheidenden Vorteil, wenn man sich besser orientieren konnte als sein Opfer. Sie hatten sich fast alle durch Laute verraten und wer sich mit einer Geisel durch den Wald bewegte, musste zwangsläufig Geräusche von sich geben.
    Sekundenlang verharrte Alexander still auf der Stelle. Er hielt den Atem an. Doch er vernahm nur die gewohnte Geräuschkulisse: Rauschende Blätter und leises Rascheln.
    Dann hörte er das entfernte Brechen eines Zweiges. Es kam von elf Uhr her, gefolgt von einem kaum wahrnehmbaren, menschlichen Zischen.
    Sofort hetzte Alexander los.
    Seine Beine flogen über Wurzeln, wirbelten verblichene Tannennadeln auf und zertraten knöchelhohe Schwarzbeersträucher. Dann sah er in der Ferne zwei Schemen.
    Alexander legte seine Pistole an, fluchte und rannte weiter. Bei diesen Sichtverhältnissen konnte er nicht schießen. Das Risiko war zu hoch. Er würde Natalja treffen.
    Er steckte die nutzlose Waffe zurück in seinen Holster, während er sich zwischen Baumstämmen hindurchschlängelte. Er musste die beiden einholen und den Mönch überwältigen. Einen Mönch! Was sollte ihm ein gläubiger Klosterbruder schon entgegensetzen? Er war ja kein Shaolinmeister, der Nadeln durch Glasscheiben werfen konnte.
    Erneut sah er die beiden Gestalten im Nebel auftauchen, weiter links von ihm als erwartet. Er korrigierte seine Richtung.
    Ein prächtiger Stamm versperrte ihm abrupt die Sicht.
    Alexander setzte links daran vorbei, sprang über eine kniehohe Wurzel hinweg und trat ins Leere.
    Er hing einen Moment in der Luft, erkannte mit einem letzten Blick Natalja, die in seine Richtung starrte, sah sie mit ihrem

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