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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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Peiniger hinter Büschen verschwinden, dann stürzte er in die Tiefe.
    Noch bevor er wusste, wie ihm geschah, schlug er heftig auf. Die Luft wurde aus ihm herausgepresst, sein Rippenbogen pochte noch stechender als zuvor. Sterne tanzten vor seinen Augen. Alexander sog keuchend die feuchte Luft in die Lungen. Erde und modriges Laub füllten dabei seinen Mund. Er hustete, spuckte, stöhnte.
    Natalja!, schoss es ihm entsetzt durch den Kopf. Ich muss weiter!
    Er rollte sich schwerfällig zur Seite und würgte die Reste des Waldbodens hervor. Erdkrümel hatten sich in seine Augen verirrt, verschleierten seinen Blick. Er blinzelte heftig, bis er endlich wieder seine Umgebung sah: er war in eine etwa metertiefe Kuhle gefallen. Der uralte Baum, dem er ausgewichen war, ragte über ihm empor, während die Hälfte seiner Wurzeln fingergleich durch die Luft rankten, bevor sie neben ihm im Boden der Senke verschwanden, sich zwischen totem Laub vergruben.
    Irgendwo raschelte Blattwerk. Etwas kratze an seinem Bein entlang. Alexanders Kopf zuckte herum. Ungläubig starrte er auf das Wurzelgeflecht, das sich wie eine Würgeschlange um seinen Knöchel schmiegte. Wie Zombiehände brachen weitere Äste daneben aus dem Waldboden hervor.
    Bevor er überhaupt wusste, wie ihm geschah, schoss eine Hand voll Wurzelenden auf ihn zu, attackierten ihn wie Peitschen oder versuchten ihn zu umschlingen.
    Alexander keuchte entsetzt auf. Was zur Hölle?
    Mit aller Kraft schlug er einen Strang beiseite, der sich seiner Schulter genährt hatte und zog anschließend an den drahtigen Auswüchsen, die seinen Knöchel auf den Boden pressten. Er spürte bereits, wie ihm das Blut aus dem Bein wich, so stark war der Druck der Wurzeln.
    Alles Zerren half nichts. Alexander brüllte wie ein in die Enge getriebener Bär. Dann kam ihm ein rettender Gedanken: Sein Messer!
    Mit zitternden Fingern riss er eine seiner Klingen aus dem Ledergurt. Er ignorierte die schmerzhaften Hiebe, die von den peitschenden Enden ausgingen und ihn malträtierten. Mit all seiner Kraft schlug er mit der Schneide auf die Wurzeln ein. Das geschliffene Messer glitt seidig tief ins saftige Gehölz. Im selben Moment zuckten die Wurzeln zurück, wie wenn sie Schmerzen spüren würden.
    Alexander nutzte die Schwachstelle sofort aus. Mit schwellenden Muskeln hackte er wie im Blutrausch zu, schnitt, stach, zerrte und zerriss was er nur konnte.
    Plötzlich war sein Fuß wieder frei.
    Mit rasendem Herzen sprang er auf die Beine, hechtete ohne Zögern auf den Rand der Senke zu. Wurzeln griffen erneut nach ihm, glitten aber an ihm ab.
    Seine Finger jedoch ebenfalls. Im schmierigen Laub rutschte er ein Stück zurück in den Krater.
    Wieder traf ihn ein harter Schlag zwischen die Schulterblätter. Er grunzte und spürte unverhofft festen Halt unter den Sohlen.
    Instinktiv drückte er sich mit aller Gewalt ab und katapultierte sich über den Rand der Kuhle.
    Mit pfeifendem Atem rollte er durch niedrige Sträucher, zerkratzte sich an Dornen Hände und Gesicht und blieb schließlich liegen.
    Seine Brust bebte. Alles vibrierte.
    Ein wild gewordener Baum, fragte er sich halb betäubt, während das Blut in seinen Ohren wummerte. Das konnte doch nicht sein! War das Bier verdorben gewesen? Halluzinierte er? Stand er unwissentlich unter Drogen? Die Ravioli?
    Schmerzhaft stemmte er sich hoch. Die Senke fiel keine zwei Meter neben ihm ab, doch was er erblickte, ließ ihn erbleichen: Ein Gewimmel aus Wurzeln brodelte darin.
    Wie in einer Schlangengrube rieben sich raue Äste mit gesprungener Borke aneinander. Es knackte und krachte. Die Auswüchse verschlangen sich zu einem undurchdringlichen Wust an Holz und Rinde. Vereinzelte Äste züngelten wie Tentakel in seine Richtung, doch weiter als bis zum Rand der Senke reichten sie nicht. Sie zerrten zitternd, strebten ihm mit all ihrer Kraft entgegen, aber ihre Reichweite war zu kurz. Imaginäre Ketten hielten sie zurück.
    Mit offenem Mund starrte Alexander hinab in das lebendig gewordene Geäst.
    Das durfte nicht sein! Unmöglich! Entgegen aller physikalischen Naturgesetze.
    Dann wurde ihm bewusst, weshalb er eigentlich hier war. Die Wurzeln waren nebensächlich. Er musste Natalja befreien! Wie viel Zeit hatte er verloren? Drei Minuten? Fünf? Zu viele für seinen Geschmack.
    Mit einem Ruck drehte er sich einmal um seine eigene Achse, versuchte sich zu orientieren. Wohin er aber auch blickte, er sah niemanden. So sehr er auch lauschte, er hörte nichts außer das

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