Blut und Harz
den Boden spuckte.
»Der stimmt dir verdammt nochmal zu. Scheiße! Ja Erik. Wir werden uns zuerst vorsichtig heranpirschen und uns einen Überblick verschaffen. Aber maximal zehn Minuten. Dann lauf ich dort ein!«
Erik spürte, wie ihm ein kleiner Stein vom Herzen fiel. Er wusste nicht warum, aber ihm war klar, dass sich an diesem Abend sein Leben entscheiden würde. Er sehnte die Entscheidung nicht gerade herbei. Der Ausgang war zu ungewiss. Die Risiken nicht abschätzbar. Erik wusste nur, dass solange man Reimund und die Mönche nicht zur Besinnung brachte, er und Elias und Natalja in Todesgefahr schwebten.
Elias.
Der Gedanke erzeugte stechende Schmerzen in seiner Brust. Er wäre so gerne jetzt im Krankenhaus. Er würde so gerne an seiner Seite sitzen und seine Hand halten, ihm die schwarzen Haare aus der Stirn streichen. Er wäre so gerne für Elias da, aber eigentlich war er das auch, jetzt in diesem Moment, oder nicht? Er versuchte, Elias Leben zu retten. Er versuchte, die Bedrohung abzuwenden, die wie ein unsichtbares Schwert mit rasiermesserscharfer Klinge über ihnen hing. Würden er und Alexander scheitern, dann wäre Elias in ernsthafter Lebensgefahr – und Natalja sowieso.
Das Kloster tauchte unvermittelt zwischen den Bäumen als heller Schimmer auf. Alexander nickte Erik knapp zu und zeigte mit ausgestreckter Hand direkt in den Wald. Der Rabe übernahm die Führung.
Gemeinsam verließen sie den Weg und betraten unebenen Boden, der leicht nach oben anstieg.
Als Erik hinter Alexander durch den Wald huschte, wurde ihm erneut klar, warum Nataljas Bruder ein Profi war.
Er bewegte sich geschmeidig wie eine Raubkatze über Stock und Stein. Erik hörte so gut wie keine Geräusche von Alexander ausgehen; ein leises Rascheln von Laub hier, ein Wogen eines Astes dort und das vereinzelte Knarzen von Leder. Aber niemandem würden diese Geräusche verdächtig vorkommen. Im Wald war es niemals still.
Er selbst hingegen fühlte sich wie eine wandelnde Technoveranstaltung: Der Metallzipper seiner Jacke schlug rhythmisch gegen seine Gürtelschnalle, die wiederum an den Jeansknopf klackerte. Dazu raschelte sein grober Jackenstoff bei jeder Bewegung synthetisch und selbst seine Schuhe schienen sich gegen ihn verschworen zu haben: Sie quietschten laut und ausgiebig.
Alexander blieb plötzlich stehen. Mit einem Wink forderte er Erik still auf, neben ihn zu treten.
Zu ihren Füßen fiel das Gelände wieder sanft ab. Der Boden war mit niedrigen Sträuchern, verwitterten Ästen und kleinen Hügeln übersät. Erstes Weiß des Schnees schimmerte darin. Am Fuße des Abhangs lief der geschotterte Weg wie ein breites, graues Band vorbei und mündete in eine grobe Holzbrücke, die über das fahle Moor führte. Die Wasseroberfläche wirkte wie zähes Öl vermischt mit Schlamm. Wie Erik erkannte, stand das äußere Tor des Klosters offen. Sie konnten also direkt in den Innenhof gelangen.
»Deine Beschreibung war gut«, raunte Alexander lobend nach einer ausgiebigen Musterung. »Ich hatte es mir zwar optisch anders vorgestellt, aber die Fakten sind zutreffend.«
Erik konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er war es nicht gewohnt, gelobt zu werden. Immer war er derjenige, der Mitarbeiter und Geschäftspartner beeinflusste, hier und da ein Lob aussprach oder einen Tadel. Dass es in diesem Fall anders herum war, erfüllte ihn mit Stolz, so seltsam es sich auch in dieser Situation anfühlte.
»Bleibst du bei deiner Meinung, dass wir einfach einlaufen sollten?«
Der Rabe nickte.
Das Brechen von kleinen Ästen ließ Erik herumfahren und ihn angestrengt in die Dunkelheit starren. Einzelne Schneeflocken flirrten durch die Luft. Er suchte den Platz vor der Brücke mit seinen Augen ab, denn das Geräusch war eindeutig von dort gekommen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er Alexander, der in die gleiche Richtung blickte.
Im selben Moment löste sich in unmittelbarer Nähe der Brücke der Umriss einer Gestalt zwischen zwei Bäumen und trat auf den geschotterten Weg hinaus. Kleine Steine knirschten gedämpft. Zielstrebig bog der Schemen nach links ab und betrat im Eiltempo die alten Holzdielen der Brückenkonstruktion. Eine glitzernde Schicht, hauchdünn und jungfräulich, lag über dem Holz. Im helleren Licht, das auf der freien Fläche herrschte, erkannte Erik, dass es ein Mönch war.
Gleichzeitig bemerkte er, wie Alexander die Kalaschnikow fester packte und sich geräuschlos in eine andere Position drehte. Er verlagerte sein
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