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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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schweigende Wächter ohne Gesicht und Tadel.
    »Was wolltet ihr mir mit den Bildern zeigen?« fragte er so laut es ging ohne bereits zu schreien. Er hatte keine Ahnung, ob sie ihn hören mussten oder ob schon die Formulierung eines Gedankens reichte, doch er fühlte sich wohler, wenn zumindest der Anschein einer Unterhaltung aufrechterhalten wurde. Die ganze Situation war sowieso schon seltsam genug.
    Die Wahrheit , kam prompt die Antwort.
    »Welche Wahrheit?« Elias stemmte sich hoch und stand auf. »Dass es Naturkatastrophen gibt, ist mir bekannt. Dass dabei Menschen sterben, auch. Und dass Wälder abgeholzt werden und dabei viel Scheiße passiert, ist mir ebenfalls nicht entgangen. Aber was hat das mit mir zu tun?«
    Vieles.
    Verwirrt furchte Elias seine Stirn. Vieles? Hatte er sich gerade verhört?
    »Das war ein Witz, oder?«
    Nein. Du bist jemand. Bedeutend.
    Schnaubend schüttelte Elias den Kopf.
    »Und deshalb braucht ihr meine Hilfe?«
    Du verstehst nicht.
    »Wie auch? Ihr sprecht in Rätseln mit mir. Ich weiß ja nicht einmal wie ich zu diesem Maisfeld gekommen bin. Ihr zeigt mir Dinge, die mir einen Schritt voraus sind! So geht das nicht.«
    Verbittert strich er sich durchs Haar. Er spürte, dass die Erinnerungen da waren. Er konnte nur nicht zugreifen. Etwas hinderte ihn daran. Es war, als wüsste er, dass er etwas verdammt Wichtiges in eine Schublade gesperrt hatte, doch der Schlüssel war ihm geklaut worden.
    Setz dich an den Stamm.
    »Was?« Elias blinzelte. »Warum sollte ich?«
    Um deine Wahrheit zu erfahren. Vielleicht akzeptierst du dann unsere.
    Unschlüssig sah sich Elias noch einige Augenblicke um, dann folgte er der Anweisung. Was sollte er auch anderes tun? Er hatte nichts zu verlieren. Seufzend ließ er sich an den nächst besten Stamm eines Baumes sinken. Das Holz verströmte einen staubigen Geruch von Alter und Ehrwürdigkeit. Elias schüttelte angesichts seiner seltsamen Gedanken den Kopf. Dann lehnte er ihn an die Rinde.
    Als seine Haut den Stamm berührte, war das klauenartige Gefühl in seinem Kopf wieder da. Er wollte wegzucken, sich vom Stamm lösen, doch es ging wieder nicht. Er war wie gelähmt. Panik stieg in ihm auf, doch er mahnte sich zur Ruhe. »Entspann dich«, sagte er zu sich selbst.
    Dann verblasste die Welt und das erste Bild erschien. Es war aber gar kein Bild, wie Elias überrascht feststellte, sondern er nahm am Geschehen teil, wie wenn er als passiver Beobachter daneben stehen würde. Auch die Klaue in seinem Geist war dieses Mal anders: Diffuser, angenehmer. Vielleicht zurückhaltender.
    Seine Konzentration wurde auf das Geschehen geleitet, wo ein Mann einen feuchten Gehsteig entlang rannte. Es war neblig und trübe. Die Hausfassaden fleckig und trist.
    Als Elias den Mann erkannte, zuckte es schmerzhaft durch seinen Geist. Es war sein Vater. Mit der Erkenntnis klickte etwas. Die Schublade war geöffnet worden. Die Erinnerung strömte zurück.
    Gespannt sah er, wie Erik dahinsprintete und unerwartet auf die Straße sprang. Im selben Moment kam das Auto herangeflogen und, zu Elias Überraschung, er selbst.
    Mit klopfendem Herzen wurde er Zeuge, wie er seinen Vater zur Seite stieß und dann selbst vom weißen Kleinwagen erfasst wurde. Als er den Aufprall sah, wurde ihm schlecht, doch noch bevor sich die Übelkeit ausbreiten konnte, ebbte sie wieder ab. Dann sah er sich wuchtig auf dem Asphalt aufschlagen.
    Das Bild wechselte.
    Er sah sich selbst verschwommen in einem Bett liegen, doch etwas stimmte nicht. Die Konturen passten nicht wirklich. Dann wurden die Details schärfer und dieses Mal zuckte er keuchend zusammen.
    Die Schläuche und Nadeln in seinem Körper, die gewaltige Halskrause und die fahlen Laken und Gerätschaften, die eben nur undeutbare Formen gewesen waren, ließen keinen Zweifel bestehen, wo er sich befand.
    Deine Wahrheit, ertönte die Stimme des Waldes. Sie hörte sich plötzlich sanft und warmherzig an.
    »Bin ich tot?« flüsterte er. Elias spürte heiße Tränen über seine Wangen kullern, während er sich selbst auf dem Krankenbett beobachtete.
    Weit entfernt , sagte die Stimme. Das Leben ist dein, unser ist dein Dienst.
    »Okay, okay«, raunte er zitternd. »Ihr habt mir also das Leben gerettet und jetzt soll ich euch helfen. Aber wie?«
    Akzeptiere die Wahrheit.
    Ein neuer Bilderstrom begann, langsamer dieses Mal und deutlicher.
    Elias schien in der Luft zu schweben. Die ganze Welt lag unter ihm ausgebreitet, ein Teppich von Grün, Braun, Blau

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