Blut und Harz
über sein Gesicht. Er streckte den freien Arm mit zitternden Muskeln nach den dünnen Ästen aus. Schmerzen durchpulsten ihn und Schwindel versuchte ihn daran zu hindern.
Doch er wusste, was er zu tun hatte.
Im selben Moment, als seine Fingerkuppen das saftige Grün berührten, spürte er das Leben, warm und pulsierend. Es brandete aus dem Immergrün in seine Hand, kroch kochend seinen Arm empor bis es ihn vollständig ausfüllte und durchströmte.
Elias schloss seufzend die Augen. Sein Atem beruhigte sich, seine Schmerzen verschwanden.
Als er nach einer unbestimmten Zeit die Lider wieder öffnete, sah er nur noch einen verhutzelten Strauch vor sich: Braun mit schlaffen, ausgetrockneten Ästchen und tot. Er hingegen hatte wieder rosige Wangen und fühlte sich blendend. Stark wie nie zuvor. Geladen mit Lebensenergie. Er brauchte dafür keinen Spiegel.
Er hatte die Wahrheit erkannt und –
Akzeptiere die Wahrheit!
Mit einem entschlossenen Ruck setzte er sich in seinem Krankenbett auf. Mit laxer Vorsicht zog er den Schlauch aus seiner Nase, entfernte den Tropfer von seinem Arm und riss den zweiten Schlauch an seinem Finger ab. Die Halskrause landete achtlos neben dem Bett am Boden, wo sich eine Pfütze des Tropferinhalts bildete.
Er brauchte beides nicht mehr.
Dann schwang Bruder Elias seine Beine aus dem Bett.
Kapitel 25
Der Wald war dunkel und kalt wie eine Tropfsteinhöhle. Es fehlte nur noch das beständige Tropfen von Wasser, doch anstelle von dicken Wasserperlen rieselten einzelne Schneeflocken vom Himmel herab.
»Schnee im Oktober!« sagte Erik, während sie über den Weg stapften. »Jetzt ist dieses verdammte Wetter aus England doch noch herübergeschwappt. Die Inselaffen sollen ihren Mist behalten.«
Alexander, der neben ihm lief, zuckte nur mit den Achseln. »Scheiß aufs Wetter, Erik. Ich will Natalja da rausholen und die Nacht überleben.«
»Du hast ja recht«, erwiderte Erik. Zum zwanzigsten Mal prüfte er dabei den Sitz der Pistole, die er sich an seinen Gürtel befestigt hatte. Das kalte Eisen hing beruhigend und erschreckend zugleich an seiner Seite. Er würde sich wahrscheinlich nie in seinem Leben an dieses Gefühl gewöhnen, doch er wollte es auch gar nicht. Die Waffe war nur ein nötiges Übel, geladen und griffbereit. Das allein zählte.
»Aber wie willst du nun eigentlich reinkommen ins Kloster? Einfach über die Brücke marschieren?«
»Willst du eine Runde schwimmen und danach klettern?«
»Ähh nein. Nicht bei dieser Arschkälte.«
»Dann kennst du die Antwort. Fliegen habe ich leider noch nicht gelernt, also einmarschieren.«
Schweigend liefen sie weiter über den geschotterten Weg. Nach etlichen Schritten meinte Alexander: »Wie gern würde ich jetzt wieder in der Sitzheizung lümmeln und mir die Eier kochen lassen.«
Erik lachte leise. »Ja, aber du wolltest ja unbedingt den Wagen abstellen und den Rest laufen. Ich wäre gerne in der Wärme geblieben.«
Alexander schnaubte. »Ich auch, aber die Überraschung ist unser einziger Vorteil, den wir haben. Wir dürfen ihn nicht so einfach verspielen indem wir mit röhrenden Motoren mitten in der Nacht in ihren Hof rasen. Die Mönche hebt es ja sofort ausnahmslos aus den Federn. Wenn es nach mir ginge, würde ich ihnen am liebsten die Kehlen im Schlaf durchschneiden. Fubbb . Wieder einer. Fubbb .«
Erik schluckte. Er wusste, dass Alexander es todernst meinte und er konnte sich das Ganze bildhaft vorstellen. Er sah sich selbst in seinem dunklen Schlafzimmer erwachen, ein todbringender Schatten über ihm, der ihm kalten Stahl durch den warmen Hals pflügte. Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken und er musste unweigerlich an seinen Hals greifen. Die Haut war unversehrt. Erik schluckte erneut.
Der Weg machte einen Bogen und führte sie tunnelförmig immer tiefer hinein in den Wald. Erik setzte derweilen erneut an: »Ich bin trotzdem dafür, dass wir uns erst Mal in der Nähe verstecken und beobachten. Du kannst dir einen eigenen Überblick verschaffen und dann wohl besser beurteilen, als von meinen Erzählungen. Wir müssen ja nicht lange warten. Nur ein paar Minuten.«
Der Rabe seufzte neben ihm. In der Dunkelheit war er nur als geisterhafter Schatten zu erkennen.
»Mit jeder Minute, die wir hier vertrödeln, sinken Nataljas Chancen. Sie ist in Lebensgefahr. Ich weiß es einfach. Mein Bauchgefühl ist absolut gegen Warten!«
»Und dein Kopf? Was sagt dir deine berufliche Erfahrung?«
Erik hörte, wie der Rabe auf
Weitere Kostenlose Bücher