Blut und Harz
Blinker seines Wagens fiepten erneut. Mit ein paar schnellen Schritten sprang er durch den Regen und schlüpfte in den Wagen. Er musste schlucken, doch er meinte einen dicken Klos im Hals zu haben. Sein Atem ging keuchend.
Das Schloss war gerade hinter ihm eingerastet, als er die Zentralverriegelung von Innen aktivierte und alle Türen absperrte.
Erik, das ist Irrsinn! Dort ist niemand! Deine Nerven spielen dir einen Streich!
Doch das Gefühl unter Beobachtung zu stehen war so übermächtig, dass er mit einem Ruck den Wagen startete und dieser augenblicklich wieder erstarb, weil er die Kupplung ruckartig kommen hatte lassen.
Er keuchte auf. Sein Blick glitt gehetzt über die Büsche, doch dort war niemand. Die Schatten waren leer und verlassen. Nirgends regten sich Schemen. Kein Höllenhund sprang mit gefletschten Reißern und blutig sabbernden Lefzen hervor.
Reiß dich zusammen!
Erik schlug sich auf den Oberschenkel, dass die Haut heiß zu brennen begann. Dann startete er grimmig den Wagen. Diesmal achtete er auf die Kupplung. Das bekannte Brummen des Motors, das sanfte Vibrieren und das hellere Aufleuchten der Armaturenanzeigen füllte wenig später die Nacht, doch das erdrückende Gefühl der Angst blieb. Er kam sich wie eine fette Laborratte in einem Experiment vor, der Kabel ins Gehirn implantiert worden waren, während größenwahnsinnige Wissenschaftler direkte Impulse in die Gehirnregionen sandten, die für die Angst und das blanke Entsetzen zuständig waren. Noch nie hatte Erik etwas Vergleichbares erlebt. Er wusste, dass er sich kurz vor einer Panikattacke befand.
Er musste von hier verschwinden.
Sofort.
Wie von Sinnen hämmerte er den Rückwärtsgang ein und drückte das Gaspedal durch. Der Wagen machte einen Satz nach hinten. Schlingernd manövrierte er aus der Parklücke. Bevor der Wagen zum Stillstand kam, prügelte er den ersten Gang hinein und schoss hinaus auf die dunkle, verlassene Straße.
Der dunkelbraune, wollene Skapulier war vom beständigen Regen schwer und fast schwarz. Der Überwurf, den der Mann sonst nur zur Arbeit trug, hing wie eine zweite Haut über seinem Haupt und seinen muskulösen Schultern. Er spürte bereits die Kühle der Feuchtigkeit auf seiner Kopfhaut.
Lautlos trat der Mann zwischen den buschigen, seit langem verblühten Rhododendren hervor, die den Parkplatz der Praxis von Doktor Ruppert Hawelka säumten. Der Regen erzeugte ein leises Knistern, als er auf die dicken, ledrigen Blätter der Büsche tropfte, dort in tausend winzige Tröpfchen zerbarst und sie rascheln ließ.
Ohne sich am Regen zu stören blickte der Mann dem Wagen hinterher, der gerade mit protestierender, krachender Kupplungsscheibe vom Parkplatz raste und um die Ecke bog. Dann verschwand der PKW samt Fahrer aus seinem Blickfeld.
Der Mönch blieb noch einige Sekunden bewegungslos in der Dunkelheit am Parkplatzrand stehen, dann ging er seines Weges.
Kapitel 5
Die frühe Morgensonne flackerte grell durch die vorbeihuschenden Baumwipfel und kitzelte Erik im Gesicht. Eigentlich war es nur für Erik die frühe Morgensonne, denn es war bereits typische Knopperszeit in Deutschland. Elias, der die leckeren Snacks als Kind nur so verschlungen hatte, würde sich wahrscheinlich gerade eine dieser geschichteten Waffeln in den Mund schieben.
Abgespannt fuhr Erik sich mit der rechten Hand übers Gesicht, in der Hoffnung den Schlaf und die Müdigkeit wie lästigen Dreck abzuschütteln. Doch es gelang ihm nicht.
Ein kurzer Blick in den Rückspiegel bestätigte ihm, dass er mindestens so schlimm aussah, wie er sich fühlte.
Tiefe, dunkle Schatten umrandeten seine Augen, die Haut war bleich und insgesamt wirkte er ausgelaugt.
»Ich glaube meine Augenringe haben schon Augenringe«, brummte er zynisch vor sich hin, als er den Blick wieder auf die Straße richtete.
Der bleifarbene Asphalt schlängelte sich in behäbigen Kurven durch den dichten Wald. Trotz des schönen Wetters konnte die Sonne nur hin und wieder ihre Finger bis zum Waldboden ausstrecken.
Erik blickte auf sein Navi, doch es zeigte immer noch nicht die Abzweigung zum Kloster an. Egal, was Erik eingegeben hatte, die Adresse war unbekannt oder das Gerät suchte, suchte und suchte und fand am Ende nichts.
»Scheiß Technik«, zischte er griesgrämig. Erneut konzentrierte er sich auf die Straße und den Waldrand. Er wollte auf keinen Fall die schmale, von Bäumen gesäumte Einfahrt verpassen, doch seine Gedanken drifteten immer wieder zurück zum
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