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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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beide ihren eigenen Gedanken nachgingen. Dann ergriff Erik wieder das Wort.
    »Schade, aber trotzdem Danke für die Infos. Vielleicht werde ich den alten Pfarrer mal besuchen.« Erik zwang sich zu einem Lächeln. »Und was treibst du heute noch?«
    Rupperts Blick wanderte vielsagend zum Schreibtisch. Dort lag ein nicht zu verachtender Stapel Akten, mindestens dreißig Stück, die offensichtlich auf ihre Bearbeitung warteten. Erik verstand sofort.
    »Dann hast du heute noch etwas vor. Ich lass dich lieber deinen Kram erledigen. Ich gehöre sowieso ins Bett.« Erik erhob sich. Hawelka tat es ihm gleich.
    Beide klopfen sich freundschaftlich auf die Schulter.
    »Ja, du gehörst ins Bett. Fahr aber vorsichtig nach Hause und erhol dich. Und mach dir nicht so viele Gedanken. Du hast jedes Projekt bisher geschaukelt, warum nicht auch dieses.«
    Erik nickte nur, während er sich zur Kontrolle auf die Jackentasche klopfte, wo er die Schlaftabletten hineingesteckt hatte. Er fühlte das längliche, dünne Plastik unter dem flauschigen Stoff.
    »Es wird schon werden. Sobald das Ärgste rum ist, komm ich wieder vorbei. Dann gehen wir mal wieder lecker Essen oder trinken ein Bier zusammen.«
    »Das machen wir. Warte, ich gehe noch mit zur Türe.«
    Erik winkte dankend ab. Er hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, so schnell wie möglich zu gehen. »Nicht nötig. Ich finde den Weg alleine.«
    Mit gesenktem Haupt flüchtete er so zügig, dass es noch nicht seltsam wirkte, aus dem Arbeitszimmer. Er fühlte sich auf einmal elendig, weil er seinen Freund, der ihn wirklich ernst und so nahm, wie er war, wegen ein paar Schlaftabletten anpumpte.
    Er schloss die Tür hinter sich und eilte mit forschen Schritten den Gang entlang. Als er die gläserne Praxistüre erreicht und hinter sich ins Schloss fallen gelassen hatte, blieb er unter dem überdachten Vorbau stehen. Langsam atmete er mehrmals tief durch. Die Luft war regenfeucht, kühl und prickelte frisch in seinen Bronchien.
    Ruppert hatte vollkommen Recht. Er brauchte dringend Erholung. Seit der völlig unerwarteten Begegnung vor wenigen Minuten, sah er immer wieder das Gesicht von Reimund vor seinem inneren Auge erscheinen. Sobald er dieses Bild verdrängte, erschien Natalja, nackt und entblößt, vor ihm. Erik schüttelte die verwirrenden Gedanken mit aller Macht ab.
    Der Regen prasselte mittlerweile noch stärker vom Himmel herab. Erik schlug den Kragen seines Mantels nach oben und zog den Kopf zwischen die Schultern. Ihn fröstelte.
    Erneut spürte er, dass er beobachtet wurde. Das Gefühl hatte ihn zwar in der Praxis nicht ganz verlassen, doch jetzt wuchs es so stark an, dass er mitten in der Bewegung stockte. Irgendetwas stimmte nicht. Unauffällig kramte er unnötig lange in seiner Jackentasche nach seinem Autoschlüssel, während er mit den Augen die Umgebung absuchte. Sein Blick glitt über die dichten Büsche, zwischen denen undurchdringliche Schatten lagen, und über die leere Straße. Niemand war zu sehen. Auch die Fenster waren noch genauso verlassen wie zuvor.
    »Hallo?« Seine Stimme klang eigenartig flach auf dem leeren Parkplatz.
    Niemand sagte etwas.
    »Ist da jemand?« rief er lauter.
    Nur das Prasseln des Regens antwortete ihm. Sonst herrschte Stille.
    Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf. Du halluzinierst!, ermahnte er sich selbst. Beruhig dich! Du bist nur übermüdet.
    Doch die Stille war zu still , unnatürlich. Der Praxisparkplatz, auch wenn er verlassen war, hätte vor Geräuschen wimmeln müssen: Insekten, Katzen, Vögel, Hunde. Irgendein Lebewesen hätte man normal gehört. Eine schlagende Türe, einen Fetzen Musik, der herübergeweht wurde, ein Gespräch, ein vorbeifahrendes Auto oder nur das Summen der Energiesparlampe. Aber die Geräuschkulisse war so gedämpft, dass Erik dachte er wäre taub. Nur seine eigenen Geräusche und das monotone Regnen waren zu hören.
    Erik holte den Autoschlüssel aus der Tasche hervor. Mittlerweile war er sich sicher, dass er beobachtet wurde. Es war nicht mehr nur eine Ahnung, sondern Gewissheit. Es war, als würde ihn der Parkplatz selbst, die Büsche, die Pflastersteine, die Hauswände mit fremdartigem Interesse mustern. Alles wirkte lebendig, wie wenn ihn tausend verborgene Augen gleichzeitig anstarrten. Erik war überzeugt, dass irgendetwas auf ihn wartete, etwas Andersartiges. Er konnte nicht sagen, ob es sich böse anfühlte oder gefährlich, aber es war für ihn zutiefst erschreckend.
    Sein Herz hämmerte. Die

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