Blut und Harz
entfernten, fantastischen Feenwelt.
Ein leichtes Grinsen huschte über Eriks Gesichtszüge. Wenn sein Hotel nur einen Hauch dieser Zauberhaftigkeit einfangen konnte, wovon er felsenfest überzeugt war, würden die gut betuchten Gäste nur so in Scharen angetrabt kommen. Die Kassen würden klingeln. Seine Kassen. Doch er hatte gar nicht gewusst, dass es hier so idyllisch war. Als er den Weg zum Kloster wegen der Baupläne begutachtet hatte, hatte es geregnet. Die Schönheit war ihm damals nicht einmal ansatzweise aufgefallen.
Erik lenkte den Wagen durch das Tor und stellte den Mercedes neben der Schutzmauer ab, die von innen mit dichtem Efeu überwuchert war. Als er ausstieg, schob sich eine Wolke vor die Sonne. Die sonnige Märchenwelt endete schlagartig. Die glühenden, hellen Steinwände wurden grau, das leuchtende Grün der Blätter und Büsche wurde dumpf und das angenehme Rot der Schindeln stumpfe ab zu einem breiigen Rotton. Die verzaubernde, mittelalterliche Optik wirkte nun eher heruntergekommen, alt und schmutzig. Die Wagentüre krachte ins Schloss, ein lautes mechanisches Knacken, was sich unnatürlich anhörte an diesem besinnlichen Ort.
Langsam näherte sich Erik dem breiten Eingangstor zum Gebäude, das etwas seitlich hinter der Einfahrt lag. Seine Tritte erzeugten ein mahlendes Knirschen, als er über den geschotterten Weg schlenderte. Vögel zwitscherten und eine Grille zirpte leise. Die Bäume raschelten sachte im milden Herbstwind.
Ansonsten war nichts zu hören. Nirgends sah Erik einen Mönch oder überhaupt ein Lebewesen. Er trat die ausgetretenen Steinstufen zum großen Tor hinauf, doch es war verschlossen. Es gab weder Klingel noch Türklopfer. Stirnrunzelnd sah sich Erik genauer um, doch auch alle Fenster waren verriegelt. Sie lagen etwas erhöht, sodass Erik nicht hineinblicken konnte.
Verwirrt trat er wieder auf den geschotterten Weg. Langsam drehte er sich einmal um die eigene Achse. Niemand war zu sehen. Vielleicht ist jemand hinter dem Klostergebäude, mutmaßte er. Ohne zu Zögern machte er sich auf den Weg, das Kloster zu umrunden. Zwischen der Klostermauer und der Schutzwand lagen etwa zehn Meter. An der Klosterwand wucherten den gesamten Weg entlang niedrige Sträucher und Büsche. Erik erkannte schwarze und rote Johannisbeersträucher, Himbeerbüsche und kugelige Stachelbeersträucher. Die restlichen Pflanzen waren ihm unbekannt, doch er war nie ein Pflanzenfreund gewesen. Die innenliegende, schattige Wand der Außenmauer war dagegen mit weiterem, üppig wucherndem Efeu bewachsen, das seine Ästchen in das grobe Mauerwerk krallte.
Nach einem kurzen Fußweg erreichte er die Rückseite des Gebäudes. Bisher hatte er keine weitere Türe ins Innere des Gebäudes gesehen. Nur Fenster, Steine und Büsche. Auf der Rückseite hingegen eröffnete sich ihm ein überraschend prächtiger Anblick. Vor ihm erstreckte sich ein akkurat gepflegter Obst-und Gemüsegarten. Er sah die hellgrünen Blätter von Kartoffeln und die prallen Spitzen von unzähligen Kräutern: Rosmarin, Thymian, Petersilie, Minze. Dazwischen lagen bereits geerntete Beete, die schon umgepflügt waren und aufs nächste Frühjahr warteten. Dahinter versuchten sich niedrig gehaltene Obstbäume in den Himmel zu strecken, die sich teilweise aber noch von ihrer schweren Last auf den Boden krümmten. Dunkelrote Äpfel leuchteten zwischen den Blättern hervor. Erik identifizierte neben den Apfelbäumen auch Kirschbäume und Zwetschgenbäume. In Mitten des Gartens ragte ein runder, gemauerter Brunnen in der Höhe, der wie aus einem Märchenbuch überdacht und mit einer Seilwinde ausgestattet war. Ein hölzerner Wassereimer baumelte klischeehaft sachte hin und her.
Erik ließ seinen aufmerksamen Blick erneut durch den Garten schweifen, doch auch hier versteckte sich niemand. Kopfschüttelnd drehte er sich zur Rückseite des Klosters um. Es gab dort einen schmalen Hintereingang, der aber ebenfalls verschlossen war. Daneben stand ein verbrettertes Tor halboffen in den Schotterweg hinein. Dahinter sah Erik den Lack eines dunkelgrünen Wagens blitzen. Vorsichtig trat er heran und warf einen ausgiebigen Blick hinein. Der Boden der Garage war mit Sägespänen übersät. Es handelte sich wohl um eine Art Werkstatt und Geräteschuppen. Zwischen Harken, Sägen und Hämmern, die geordnet an den Wänden hingen, stand ein alter Passat. Es roch nach Holzschnitt und Motoröl, doch auch hier war keine Menschenseele.
Neugierig studierte er das
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