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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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Schatten. Eine Straßenlaterne.
    Keuchend fand sie ihre Orientierung wieder. Die Schmerzen wogten bohrend und brennend durch ihren Unterkörper. Sie wusste, dass sie sich etwas gebrochen hatte. Vielleicht die Hüfte? Sie hatte keine Ahnung, doch die Qualen steigerten sich ins Unermessliche. Endlos langsam, wie wenn ihr jemand ein Messer Millimeter für Millimeter in die weiche Haut stach, breitete sich der Schmerz in den Rücken aus, dazu kam die Kälte. Ihre Jeans war durchnässt, kalten Fingern gleich liefen Schauer in ihren Jackenkragen. Sie schrie um Hilfe.
    Niemand antwortete.
    Ganz leise rieselte der Schnee unbeirrt vom Firmament. Sienna fingerte nach ihrem Mobiltelefon. Es war feucht und das Display blieb dunkel. Eine Woge von Panik durchströmte sie. Der Akku war ja leer! Sie stöhnte laut. Was sollte sie nun tun? Aufstehen war ausgeschlossen, der Schmerz trieb ihr schon bei völliger Bewegungslosigkeit die Tränen in die Augen. Aber hier würde sie erfrieren. Sie spürte bereits das brennende Prickeln an ihren Oberschenkeln und ein pelziges Gefühl an ihrem Hintern. Danach kam die Taubheit. Zumindest hatte sie das einmal über Erfrierungen gelesen. Sie musste von hier verschwinden. Bis zum nächsten Haus wenigstens. Dort konnte man ihr einen Krankenwagen rufen.
    Sienna krallte ihre klammen, zittrigen Finger in den Schnee, versuchte sich vorwärts zu ziehen. Ihre Hände glitten durch die gefallenen zwanzig Zentimeter, fanden aber keinen Halt. Millimeterweise robbte sie sich mit zusammengebissenen Zähnen Richtung des klobigen Klotzes, der geisterhaft hinter dem schummrigen Licht in der Dunkelheit aufragte. Es waren mindestens dreißig Meter Luftlinie. Nach einem halben Meter benötigte sie eine Pause. Ihr Atem ging keuchend, salzige Tränen gefroren auf ihren Wagen, sie zitterte am ganzen Leib. Nochmals schrie Sienna um Hilfe. Leiser dieses Mal. Sie musste ihre Kräfte schonen.
    Erneut antworteten ihr nur die fallenden, weißen Sterne, die immer dichter wurden.

Kapitel 8
    Das Café Kreuzer lag im Erdgeschoss eines unscheinbaren Hauses, das sich zwischen zwei altehrwürdigen Fachwerkhäusern versteckte. Es gab fast keine Reklame, mittelmäßig viel Deko und höchste Ansprüche an kulinarische Kostbarkeiten.
    Es war keines dieser Schicki-Micki-Cafés oder Bussi-Bussi-Bars oder Business-Kasper-Bistros, wo sich junge, erfolgreiche Akademiker beim Egotrip oder zum Auto-und Frauentausch trafen. Ins Kreuzer gingen keine Schlipsträger mit rosa Hemd und rosa Krawatte, die Rosa aus Überzeugung und mit Bravur trugen, die sich wegen der Coolness einen Drei-Tages-Bart stehen ließen und eine Fliegerbrille draufsetzten, dazu ein Blackberry in der einen Hosentasche des Nadelstreifenanzugs, eine Packung Kippen in der anderen. Im Kreuzer wurde man nicht von blinkender Deko, knalligen Flyern, Pappaufstellern und Werbung erschlagen, noch verließ man nach einem langen Abend die Lokalität mit temporärem Tinnitus.
    Natürlich erhob sich auch im Kreuzer der Geräuschpegel der Unterhaltungen hin und wieder, aber trotzdem wurde eine gewisse Intimität gewahrt.
    Erik Ritter genoss gerade eine solche Pause im Café Kreuzer. Der große Cappuccino vor ihm verströmte seinen intensiven Duft nach Milch und Kaffeebohnen, der cremige Schaum tanzte über seine Zunge, spülte die letzten Krümel des nach Mandeln schmeckenden Amarettini-Gebäcks hinunter. Aus den versteckt angebrachten Lautsprechern drang dezent die Titelmusik von Dirty Dancing. I´ve had the time of my life, summte Erik in Gedanken mit. Zufrieden seufzte er, währen die Tasse zurück auf den weißen Porzellanunterteller wanderte.
    Seine Aufmerksamkeit kehrte zurück zu seinem Handy. Dort las er gerade die aktuellsten Nachrichten über das Schneechaos in England. Mit völligem Unglauben überflog er die knallharten Fakten:
    Ein unvermittelter Wintereinbruch hatte den kompletten Süden Englands in einen katastrophenähnlichen Ausnahmezustand versetzt. Von Cornwall über Southampton bis einschließlich London bedeckte eine dicke, weiße Schicht das Land. Normalerweise schneite es an der Südküste so gut wie nie. Die Einheimischen konnten Schneetreiben an einer Hand pro Jahr abzählen, von denen maximal ein Schneeschauer liegen blieb. Schon mit fünf Zentimetern lag das Land im Ausnahmezustand. Busse fielen aus, die Universitäten wurden geschlossen, die Uhren, die sich eh langsamer drehten, standen still und alle Flugpendler campierten gezwungenermaßen am

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