Blut und Harz
schwarze Stoffhose und ein weißes Hemd lagen, beides achtlos, wie in Eile, hingeworfen. Daneben ruhte ein schwarzes Freizeitsakko. Alle drei Kleidungsstücke hatte Erik im Krankenhaus getragen. Natalja war sich todsicher. Sie erinnerte sich noch haargenau an Erik, wie er ihr den Wagenschlüssel in die Hand gedrückt hatte, damit sie die Zimmerzypresse aus dem Kofferraum holte. Dieses Sakko hatte er angehabt.
Unschlüssig trat sie nun vollends ein, drehte sich einmal um ihre eigene Achse. Dabei sah sie eine zur Seite geschobene Holzvertäfelung, dahinter eine offen stehende Türe eines Zimmersafes. Innen lagen einige Dokumente, ansonsten nichts.
Ihre Vermutung wurde zur Gewissheit. Erik war mit seinem Entführer hier gewesen. Sie hatten etwas aus dem Safe geholt, Erik hatte sich umgezogen, dann hatten sie scheinbar den Wein getrunken und Krautsalat gegessen und anschließend mussten die beiden wieder aufgebrochen sein. Wie das alles zusammenpasste, blieb ihr verborgen, doch für den Moment zählten die Fakten: Erik lebte noch und er war mit seinem Auto unterwegs. Sie mussten also vom Krankenhaus direkt hierher gefahren sein.
Natalja verließ nachdenklich das Arbeitszimmer, eilte die Stufen hinab ins Erdgeschoss. Wo könnten die beiden hin sein? Was war ihr Ziel? Als Natalja das Foyer Richtung Garage passierte, gab es nur eine mögliche Erklärung: Erik besaß noch weitere Wertgegenstände, die der Rabe haben wollte. Zusammen waren sie nun dorthin unterwegs.
Natalja begann zu rennen. Ihr blieb keine Zeit mehr. Sobald der Killer hatte, was er suchte, würde Erik sterben!
***
Der Nebel in einiger Entfernung vor ihnen leuchtete erst golden, schimmerte dann heller, wurde rötlicher, wie wenn eine wabernde Gottheit dort auf der Stelle um ein loderndes Feuer tanzen würde. Darunter zeichnete sich die dunkle Silhouette der Häuser und Dächer ab. Stirnrunzelnd starrte Alexander durch die Windschutzscheibe, fragte sich, was dort vorne wohl los sei.
Wie zur Antwort auf seine unausgesprochene Frage schälte sich der grobe Schatten eines Mannes aus den Nebelschwaden, gefolgt von einer rot weiß gestreiften Holzbarriere mit noch nicht blinkenden, orangen Augen. Der Mann trug schwarze Kleidung mit neongelben Reflektorstreifen, dazu einen hellgrauen Schutzhelm mit schwarzem Nackenschutz. Weiter entfernt, im Nebel verborgen, huschten Schatten durch die Abenddämmerung.
»Dort vorne brennt es«, stellte Erik ausdruckslos fest. »Das hat uns gerade noch gefehlt. Auch noch in der Nähe von meinem Büro.«
Alexander antwortete nichts. In seinem Magen machte sich eine gurgelnde Vorahnung breit; vielleicht auch nur vom Kraut, aber die Richtung könnte stimmen, stellte er stumm fest.
»Fahren Sie trotzdem ran«, meinte er. »Ich frage, was passiert ist.«
»Und was, wenn der Typ mich erkennt? Ich bin hier kein Unbekannter«, zweifelte Erik.
»Machen Sie einfach. Lassen Sie mich reden, solange es möglich ist.«
Ihr Wagen glitt näher. Der Feuerwehrmann trat zügig neben der noch nicht ganz aufgestellten Barriere auf die Straße, versperrte ihnen den Weg. Gleichzeitig ruderte er mit den Armen, signalisierte zu halten. Erik steuerte den PKW neben ihn. Das Fenster auf der Beifahrerseite glitt summend in die lederne Verkleidung. Kühle Luft drückte ins Wageninnere, führte das Odeur eines Brandes mit sich: Verbranntes Holz, Plastik und Dämmmaterial. Sofort regten sich Erinnerungen in Alexander, doch er verbannte sie zurück in seine Gedanken.
Der Oberkörper des Feuerwehrmanns beugte sich nach vorne, so dass sein gerötetes Gesicht samt verschmierter Unterkante des Schutzhelms zum Vorschein kam. Er war vielleicht Anfang Zwanzig, hatte einen akkurat gestutzten Stefan Raab Bart und sah gehetzt aus.
»Guten Abend«, begrüßte er sie. »Hier ist großräumig gesperrt. Sie müssen diesen Block umfahren. Wir haben einen Einsatz.«
»Gesperrt?« Alexander musterte den Burschen mit fragendem Blick. »Wir müssen nur kurz einen Aktenordner aus der Firma holen. Wir haben heute noch ein wichtiges Meeting und haben bei der Akteneinsicht festgestellt, dass noch Dokumente fehlen. Es dauert keine fünf Minuten. Können Sie nicht eine winzige Ausnahme für uns machen?«
Der Feuerwehrmann schüttelte energisch den Kopf, doch als er den fünfzig Euro Schein in Alexanders Fingern erscheinen sah, blickte er sich vorsichtig um, ob ihn jemand von seinen Kameraden beobachtete. Als er sicher war, dass niemand in seiner Nähe stand, fragte er
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