Blut und Harz
Lichtkegel eines Autos erhellten die Straße. Ein roter Kleinwagen glitt leise vorbei, dicht gefolgt von einem dunklen Mercedes.
Eriks Mercedes. Zwei Schemen saßen darin.
Natalja starrte auf die vorbeifahrenden Autos. Sie blinzelte.
Konnte das sein? Spielten ihr ihre Nerven einen makabren Streich? Gaukelten sie ihr den Mercedes nur vor, weil sie sich ihn so sehr wünschte? Als sie die Augenlider wieder aufschlug, befreit von den letzten Tränen, war der Benz immer noch da. Keine Einbildung, keine geisterhafte Erscheinung. Sie sah gerade noch, wie die rot leuchtenden Rücklichter hinter den Büschen der Parkanlage aus ihrem Blickfeld verschwanden. Das Nummernschild passte.
Perplex gaffte sie noch einen langen Augenblick auf die nun wieder leere Straße. In ihrem Kopf herrschte Unglaube, eine gewaltige Leere, die von tausend Gedanken gleichzeitig wie von einer Tsunamiwelle geflutet wurde.
Natalja stieß sich kraftvoll vom Bordstein ab, wollte hektisch in die Pedale treten. Ihr rechter Fuß glitt dabei auf dem feuchten Fußhebel ab, das zackige, rostige Metall schrammte schmerzhaft über ihr Schienbein. Sie stöhnte auf.
Gleichzeitig ruderte sie mit einem Arm, um ihre Balance zu behalten, doch dann spürte sie einen sicheren Halt in den Pedalen.
Trotz des stechenden Schmerzes trat sie keuchend und mit aller Kraft in die Mechanik. Die nicht geölte Kette knarzte gefährlich, etwas in den Ritzeln knackte, doch das Rad schoss auf die Kreuzung los.
Als Natalja mit zusammengebissenen Zähnen die Hecke umrundet hatte, erspähte sie in etwa einhundertfünfzig Metern einen Kreisverkehr in der Düsternis. Durch die dünneren Nebelschwaden war er gerade noch zu erkennen. Ein zackiges Gebilde thronte inmitten des Kreisverkehres, ein drahtiges Etwas aus zusammengeschweißten Platten und Stangen - moderne Kunst. Die Straße davor war leer.
Das kann nicht sein! So knapp vor dem Ziel entkamen ihr die beiden?
Natalja wollte ihre Enttäuschung hinausschreien, als Eriks Mercedes hinter dem in der Mitte aufgestellten Metallkunstwerk für einen Moment in Sicht kam. Der Wagen verließ den Kreisel nach links, um hinter einer Hausecke zu verschwinden.
Neue Hoffnung gab ihr erneut Kraft. Sie fuhr so schnell sie konnte weiter.
Die Strecke bis zum Kreisel zog sich endlos dahin. Der eisige Fahrtwind fauchte ihr um die Ohren, brannte auf ihren geschundenen Händen. Das spröde Plastik der Griffe hatte mittlerweile die Temperatur von halb aufgetautem Fleisch angenommen.
Endlich erreichte Natalja den Kreisverkehr, bog entgegen der Fahrtrichtung ein und blieb unschlüssig an der Straßenmündung stehen, in die Erik und sein Entführer verschwunden sein mussten. Die wegführende Straße lag stumm und verlassen vor ihr. Zwei Autos standen am Straßenrand. Selbst in den angrenzenden Häusern brannte nicht ein einziges Licht oder die Rollläden waren heruntergezogen. Nur die wenigen Straßenlaternen schimmerten wie starre Wächter neben dem Gehsteig. Sie verloren sich gelben Irrlichtern gleich im Nebel.
Natalja schlug hilflos auf den Lenker. Die angebrachte Klingel klirrte leise, erschüttert durch den Hieb. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Erst hetzte sie quer durch die Stadt, nur um dann ihrem Ziel nicht hinterher zu kommen. Wie fair konnte das Leben nur sein? Einem die dampfenden Knödel vor die Nase stellen und dann nicht essen lassen.
Verärgert schob sie den Ingrimm bei Seite. Sie musste sich auf die Lösung des Problems konzentrieren, nicht auf das Problem an sich. Aber was konnte sie tun?
Sie könnte der Straße folgen, doch sie hatte nicht den blassesten Schimmer, wohin der Weg führte. Erik und der Rabe konnten überall hingefahren sein. In jeder Garage konnte sich der Mercedes verstecken. Oder die beiden könnten kilometerweit der Straße folgen.
Ihr Blick fiel auf das einzige Straßenschild, das den Weg in die ungewisse Richtung zeigte. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Vielleicht war die Lösung des Problems viel naheliegender. Aber konnte es so einfach sein?
Nein. Das wäre zu billig. Aber andererseits –
– übersah man häufig die einfachste Lösung.
Natalja starrte nochmal auf das blaue Schild. Dort waren ein schwarzes, stilisiertes Zelt abgebildet und darunter ein Wohnwagen auf weißem Grund. Daneben stand: Waldcamping – Natur pur.
Kapitel 14
Jagende Wolken -
Wogendes Grün -
Azurblauer Himmel -
Saftige Wiesen.
Elias wirbelte durch die Luft. Es schien, als sei er jahrzehntelang dahingeschossen.
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