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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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durchzog.
    Keuchend betätigte Natalja das Licht, einem Rettungsanker gleich, der ihrer galoppierenden Fantasie den Wind aus den Segeln nehmen sollte. Gleichzeitig fuhr sie auf dem Absatz herum.
    Hinter ihr war niemand.
    Hektisch drehte sie sich zurück.
    Das Sofa war leer, kein Blut, kein Gehirn, kein toter Erik.
    Natalja schluckte schwer, schloss für einen Moment die Augen, schluckte erneut. Sie kam sich vor wie ein Kleinkind, das unter das Bett schauen musste, damit sich auch ja kein Monster dort versteckte. Das war lächerlich.
    Mit bebenden Fingern sah sie sich im Wohnraum um. Alles war wie immer. Keine Zerstörung, keine kaputten Gegenstände. Wenn jemand hier gewesen war, dann hatte es zumindest keinen Kampf gegeben.
    Ihr suchender Blick fiel auf den Esstisch neben ihr. Stirnrunzelnd trat sie näher heran. Auf der Glasplatte stand auf Eriks Stammplatz ein einzelnes Glas Rotwein, ein letzter Rest Flüssigkeit darin. Auf der anderen Seite des Tisches war ein leeres Glas Wasser abgestellt worden. Dazu lagen dort eine feucht schimmernde Gabel und ein leeres Einmachglas Krautsalat mit Speck. Der dünne, süßliche Geruch des Fertigproduktes lag noch in der Luft.
    Etwas an dem Arrangement ließ sie stutzen, doch sie wusste nicht so recht was sie störte. Grübelnd trat sie noch näher heran, betrachtete eingehend den fertig gekauften Krautsalat. Dann fiel es ihr ein.
    Erik aß keinen Krautsalat. Er vertrug ihn nicht. Er hatte ihr beim Essen erzählt, dass er üble Magenbeschwerden davon bekam und den Geschmack der Süßstoffe sowieso nicht leiden konnte. Nur für Elias hatte er ihn gekauft. Fertigen Krautsalat mit dicken Speckwürfeln, ganzen Kümmelkörnern, eingemacht nach traditioneller Art, was auch immer das bedeuten sollte. Elias liebte ihn, gegen jegliche Vernunft.
    Doch ihr Freund hatte den Salat nicht mehr gegessen, soviel wusste Natalja mit Sicherheit. Zum Frühstück hatten sie krossen Toast mit Haselnusscreme, ein Frühstücksei mit Salz und Pfeffer, ein Glas Orangensaft und jeder eine Semmel mit irischer Butter, Wurst und Käse verdrückt. Aber wer hatte ihn dann seit dem Frühstück vertilgt? Die Putzfrau kam Samstags nicht und außer Erik war niemand hier gewesen, außer – Natalja nickte sich selbst zu – Erik und der Rabe hatten hier ein kleines Mahl zu sich genommen.
    Aber warum sollte Erik mit seinem Entführer Krautsalat mit Speck essen und Rotwein dazu trinken? Eine Henkersmahlzeit sah wahrlich anders aus. Irgendetwas stimmte hier hinten und vorne nicht.
    An ihrem Verstand zweifelnd setzte sie ihren Weg durch das verlassene Haus fort. Im Erdgeschoss war alles wie gehabt, dann trat sie ins Treppenhaus. Es war verlassen.
    Die Wände glänzten matt im Zwielicht, das von der dünn aufgetragenen Wachsschicht der venezianischen Spachteltechnik reflektiert wurde. Sie blickte nach oben in die Schatten. Was würde sie dort erwarten, fragte sie sich nervös. Konnte der Killer doch noch im Haus sein? Alle Fakten sprachen dagegen, aber Furcht und Angst wurden nicht von rationalen Aspekten geleitet, sondern von Emotion und Gefühlen getrieben. Diese schlugen bei Natalja höchste Wellen.
    Klebrigen Speichel hinunterschluckend, schlich sie nach oben, Stufe um Stufe. Ihre Schritte knarzten leise auf den Tritten, doch ansonsten war kein Geräusch zu vernehmen.
    Auch hinter der ersten Türe, die in eines der drei Gästezimmer führte, wurde sie nur von Einsamkeit begrüßt, genauso wie im zweiten Schlafraum.
    Vorsichtig öffnete sie die dritte, weiße Holztür. Das Zimmer, in dem sie mit Elias die letzten Tage verbracht hatte, zeigte sich ihr, wie sie es verlassen hatte: Die Bettwäsche abgezogen, auf einem Haufen neben das Bett gelegt, die Zudecken säuberlich zusammengefaltet auf der Matratze, beide Fenster gekippt, um frische Luft hereinzulassen.
    Mit schlotternden Knien setzte sie ihren Weg fort. Zwei Räume gab es noch. Die Badezimmertür glitt geräuschlos auf. Sie betätigte angsterfüllt den Lichtschalter. Vor ihr lagen weiße Marmorfliesen, durchzogen mit hellgrauen Adern, weinrote Badteppiche, strahlend weiße Becken mit blitzenden Chromarmaturen.
    Kein Killer, kein Erik, kein Blut.
    Natalja bekreuzigte sich, löschte das Licht und näherte sich der letzten Zimmertüre auf dieser Etage. Dahinter lag Eriks Schlaf-und Arbeitszimmer. Mit klammen Fingern drückte sie den Griff nach unten, schob die Türe zentimeterweiße auf. Als erstes kam ein zerwühltes, französisches Bett in Sicht, auf dem eine

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