Blut und Kupfer
Tulechow, der nicht wusste, wie ihm geschah, und sich an die gerötete Wange griff.
Auf der Terrasse erstarben die Gespräche, und eine bedrückende Stille legte sich über die Gesellschaft. Neugierde, Sensationslust und Häme las Marie auf den Gesichtern der Umstehenden und wusste, dass Georgs Schicksal besiegelt war. Vor den Augen der Öffentlichkeit hatte ihr Bruder einen einflussreichen Berater des Herzogs herausgefordert. Sie warf Tulechow, der sie entdeckt hatte, einen flehentlichen Blick zu und sah, wie er fast unmerklich den Kopf schüttelte.
»Ihr habt mich geohrfeigt und nennt mich einen Lügner, Herr von Kraiberg?«, fragte Tulechow kalt.
»Muss ich mich wiederholen?« Wütend wollte Georg erneut auf den Höfling zustürmen, doch Tulechow hob beschwichtigend die Hand.
»Ich denke, wir alle haben verstanden.«
Ein herablassendes Raunen ging durch die Umstehenden, unter denen sich auch Graf von Larding und seine Gattin befanden.
»Heute Abend nach der Vesper am Gottesacker Unserer Lieben Frau an der Stadtmauer«, sagte Georg, der sich kaum beherrschen konnte.
»Ich werde da sein, und wir werden unsere Händel mit dem Degen beilegen«, entschied Tulechow, neigte den Kopf und ging in Begleitung des Grafen davon. Die Leute nahmen ihre Gespräche wieder auf, und das Hofleben war um einen Skandal reicher.
»Wie konntet Ihr nur, Georg? Was habt Ihr damit gewonnen? Er wird Euch vorführen und aufspießen wie Schlachtvieh. Seht Euch doch an! Er ist größer, kräftiger und im Umgang mit Waffen erfahren!« Tulechow hatte als Heerführer im Türkenkrieg gedient und war ein gefürchteter Duellgegner, genau wie sein Freund von Hameling. Marie ergriff den Arm ihres Bruders. »Entschuldigt Euch, Georg. Vielleicht hört er Euch an!«
Ihr Bruder wandte ihr sein kreidebleiches Gesicht zu. »Dazu ist es zu spät, Marie. Ich kann nicht anders. Es muss sein.« Mit abwesender, liebevoller Geste strich er ihr kurz über die Wange. »Ich muss meine Angelegenheiten ordnen. Trefft mich eine Stunde vor dem Duell in der Wirtschaft gegenüber dem Torhaus in der Schwabinger Gasse.«
Er war so entschlossen, dass es Marie das Herz zerriss. »Georg, ich will Euch nicht verlieren! Tut es nicht! Ich gehe zu Tulechow und bitte für Euch!«, sagte Marie mit Tränen in den Augen.
»Nicht weinen, Schwester. Ich sehe Euch viel zu oft weinen, und immer sind es die Männer unserer Familie, die Euch Kummer bereiten.« Er nahm ihre Hand und führte sie die Stufen hinunter, wo eine Buchshecke sie vor neugierigen Blicken schützte. »Marie, ich weiß, dass er mir im Kampf überlegen ist, aber ich muss es tun. Anselm war der ehrlichste und reinste Mensch, der je auf Erden gewandelt ist. Ich habe ihn geliebt, und durch meine Schuld ist er zu Tode gekommen.« Georg schluckte. »Er war ein guter Schwimmer und wäre niemals ertrunken.«
»Hat er … ich meine, hat er Eure Gefühle erwidert?«
»Im Herzen war er immer ein reiner Mensch!«, sagte er verzweifelt. »Er hat sich gequält deswegen und sogar an Gott gezweifelt, der Liebe säte und sie als Sünde verurteilte. Ihr habt ihn gekannt. Er war anders als alle Menschen, die ich kenne! Er strahlte von innen, und wenn er mit den Leuten sprach, dann fanden sie wirklich Trost und glaubten an unseren Herrn Jesus Christus, glaubten, weil sie die Liebe Gottes in Anselm sahen.« Er hielt inne. »Ich rede nicht irre und nicht, weil ich ihn liebte …«
Marie dachte an den jungen Pater mit der Aura eines Heiligen und verstand ihren Bruder, zumindest zum Teil. »Nur eines, Georg: Stimmt es, was diese Carla in Tulechows Haus über Euch behauptet hat?«
Er zögerte einen winzigen Moment lang, und das war Marie Antwort genug.
»Nein, nicht, wie sie es gesagt hat, so nicht.«
»Ach Georg. Was ist nur aus uns geworden?«, sagte Marie traurig und sah sich in Gedanken mit ihren Brüdern im Turm von Kraiberg heimlich den Bezoar betrachten, von dem es hieß, dass er wundersame Kräfte besäße. Die Welt hatte schon lange ihre Magie verloren, und mit Georg würde auch die Wärme ihrer Kindheit verschwinden, die ihr immer ein Trost gewesen war.
Ihr Bruder küsste sie auf die Stirn. »Ihr kommt in die Wirtsstube? Vielleicht unterschätzt Ihr meine Fechtkünste ja auch …« Er lächelte ihr aufmunternd zu, doch die Angst saß in seinen Augenwinkeln.
Niedergeschlagen sah Marie ihrem Bruder nach. Er hatte ihr nie Kummer bereitet, und sie wollte ihn nicht auf diese Weise verlieren. Entschlossen holte sie tief
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