Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Wilken
Vom Netzwerk:
Habt Ihr je davon gehört?«
    »Nein.«
    »Ein Edelstein, braun, blutrot und in der Mitte weiß und schwarz wie die Linse eines Auges, fast magisch! Man nennt ihn deshalb Wolfsauge. Ich habe Feste gegeben, und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass bei mir Vertreter jedes großen europäischen Herrscherhauses zu Gast waren. Das war die glänzende Seite meines Lebens. Codicillus Tulechow war anfangs mein Kunde. Dann lernte ich über ihn Remigius und die anderen kennen. Wir wurden Freunde. Mir lag sehr viel an der Freundschaft zu diesen Gelehrten, die meine Sehnsucht nach geistiger Erfüllung verstanden.«
    Eine Gruppe Nonnen kam aus dem gegenüberliegenden Kreuzgang über den Rasen, und Gisla wartete, bis die Frauen außer Hörweite waren. »Ihr könnt mir glauben oder nicht, es war tatsächlich so, dass diese gebildeten Männer in mein Haus kamen, um sich über neue alchemistische Experimente oder medizinische Entdeckungen auszutauschen. Bei diesen privaten Zusammenkünften haben sie auch über da Pescia und seine Tafeln gesprochen.« Gisla musterte Marie von der Seite. »Ich gebe zu, dass ich verliebt war in dieses luxuriöse Leben, die Bewunderung durch bedeutende Männer, und doch hätte ich alles aufgegeben für einen Mann.«
    »Meinen Oheim.« Es fiel Marie schwer, an die Aufrichtigkeit von Gislas Worten zu glauben. War es nicht eher ein Wunschtraum gewesen?
    »Vielleicht war Remigius auch weitsichtiger als ich und hat erkannt, dass ich für das einfache Leben einer Steinschneiderfrau nicht taugte. Prag war damals das vibrierende Zentrum der westlichen Welt für uns. Kaiser Rudolf, Gott hab ihn selig, hat Gelehrte und Künstler um sich geschart zu einer Zeit, in der die Türken den Krieg provozieren wollten. Sechshundert Köpfe enthaupteter Christen haben die Muselmanen damals in Konstantinopel an der kaiserlichen Botschaft vorbeitragen lassen. Die Leichen der Christen wurden den Raubvögeln überlassen. Der Kaiser hat sich lieber in seinen Gewölben versteckt und sich an seinen Kunstschätzen berauscht. Politik war etwas, was ihn schreckte, abstieß, weil es ihn von seiner Sammelleidenschaft und seiner Suche nach dem Lapis philosophorum abhielt.«
    Begierig lauschte Marie der alten Frau, die von einer Welt erzählte, die fremd und gefährlich war und die ihr dennoch verlockender schien als ihr enges, vorbestimmtes Leben. Der idyllisch anmutende Garten war nur den Vögeln ein Paradies, denn sie hatten Flügel.
    »Damals war alles möglich. Zumindest dachte ich das bis zu jenem Tag, an dem ich dem falschen Mann Hausverbot erteilte.« Gisla ließ ihren Blick durch den Klostergarten schweifen, in dem nichts die friedliche Stille störte. »Charvat Slavetin war ein ehrgeiziger junger Mann, der so überzeugend reden konnte, dass er es bald vom einfachen Schreiber zum Sekretär eines böhmischen Aristokraten gebracht hatte. Selten habe ich mich so in jemandem getäuscht wie in Charvat. Er hat mich mit seinem Charme und seinen Lügen eingewickelt. Nicht nur mich, aber das ist kein Trost. Um es kurz zu machen – ich gewährte ihm meine Gunst und musste erfahren, dass dieser junge Bursche ein widerwärtiger, pervertierter Kerl war, dem es Freude bereitete, anderen Schmerzen zuzufügen. Oh, er entschuldigte sich danach bei mir und erzählte mir das Blaue vom Himmel, warum er diese Neigungen verspürte. Ich habe ihm kein Wort geglaubt und war froh, mit heiler Haut davongekommen zu sein. Als ich ihm deutlich erklärte, dass er sich nie wieder bei mir blicken lassen dürfte, bekam er einen Tobsuchtsanfall und schwor mir Rache.«
    Gisla streckte die Beine und bewegte die Füße. »Lasst uns ein Stück gehen. Bis zum Brunnen. Danach muss ich mich hinlegen. Ich bin müde. Das Alter fordert seinen Tribut.«
    Als Marie der alten Dame eine stützende Hand anbot, lehnte diese ab.
    »Hört zu und lernt. Vielleicht wäre seine Rache weniger grausam ausgefallen, wenn ich ihn nicht bei allen unseren Bekannten als den bloßgestellt hätte, der er war, ein hinterhältiger Lügner. Es kam, wie es kommen musste, ein Teil der Prager Gesellschaft schnitt Charvat, und dann kam ich eines Abends in mein Haus, und da wartete er bereits auf mich. Ich hatte mich gerade von Remigius und Melchior verabschiedet und wollte mich für diese Nacht zurückziehen. Was genau Charvat an Grausamkeiten geplant hatte, kann ich nicht sagen, irgendetwas lief nicht nach Plan, und mein Schlafzimmer stand plötzlich in Flammen. Er hatte mich ans Bett gefesselt.

Weitere Kostenlose Bücher