Blut und Kupfer
woher sollte sie wissen, ob die Leiterin einer so bedeutenden Institution nicht an den Hof weitergab, was ihr zu Ohren kam? Letztlich war auch ein Kloster ein Unternehmen und profitierte von großzügigen Spendern.
»Das tut mir leid. Ich weiß, dass Ihr nicht gern hier seid, aber vergesst nicht, dass wir Frauen an einem Ort wie diesem oftmals besser aufgehoben sind als in der rauen Welt, die sich vor den Toren unseres Hauses auftut«, sagte die kräftige Frau ernst.
»Aber das liegt nicht an uns! Wenn man uns Verfügungsgewalt über unser Vermögen und Entscheidungsfreiheit über …«, hob Marie an, doch die Oberin verbot ihr streng das Wort.
»Bescheidet Euch, Frau von Langenau! Hochmut hat noch jeden zu Fall gebracht. Ihr solltet Demut lernen, das stünde Euch besser zu Gesicht! Ich werde für Euch beten.« Die Oberin bekreuzigte sich und winkte einer Nonne, die mit einem abgedeckten Eimer aus einer Zelle trat. »Wie steht es um sie?«
»Wir sollten den Beichtvater rufen, Mutter Oberin.«
Nicht einmal ins Paradies konnten die Nonnen ihre Seelen ohne männlichen Beistand befehligen. Noch nie war Marie ihr eingeschränkter Handlungsspielraum schmerzlicher bewusst gewesen als heute. Aber das mochte auch an der im Falkenturm verbrachten Nacht und ihren Sorgen liegen. Georg würde sie hier finden. Marie hob ihren cremefarbenen Taftrock an, der bei jedem Schritt leise raschelte, und lief die Treppe hinunter in den Garten, wo sie Gisla wie erhofft auf ihrer Lieblingsbank neben einem Rosenbusch fand.
Die ausdrucksvollen Augen der alten Dame leuchteten auf, als Marie ihr zuwinkte und sie mit Küssen auf die Wangen begrüßte. »Ich freue mich so, wenigstens einen freundlichen Menschen hier zu finden«, seufzte Marie und ließ sich neben der Nonne auf der kühlen Steinbank nieder.
»Die Freude ist beidseitig, meine Liebe, obwohl ich das Gefühl habe, dass Ihr eine schwere Bürde auf Euren Schultern tragt.« Gisla kräuselte die noch immer vollen Lippen und beobachtete eine Kohlmeise, die emsig nach Futter suchte.
»Ich war bei meinem Oheim. Yolande, ich glaube, Ihr könntet uns helfen.«
Bei der Erwähnung ihres weltlichen Namens zuckte die alte Dame zusammen, räusperte sich und reckte das Kinn ein wenig höher. »Was hat er Euch über Yolande erzählt?«
»Dass Ihr in Prag eine umschwärmte Schönheit gewesen seid und dass ich mit Euch sprechen soll.«
Die Nonne verschränkte die Hände ineinander und versteckte sie in den weiten Ärmeln ihrer Tunika. »Er überlässt es also mir zu entscheiden, ob ich Euch von meiner Vergangenheit erzähle.« Sie schwieg. »Ich war eine Kurtisane.«
Das Wort hing in der Luft wie ein Richtschwert.
»Mein Oheim hat nie eine derartige Andeutung gemacht. Er spricht mit größtem Respekt von Euch.«
»Deshalb habe ich ihn geliebt.« Ein kleines Lächeln umspielte Gislas Lippen. »Prag. Goldene Zeiten. Schreckliche Zeiten.« Sie stieß ein bitteres Lachen aus. »Der Tanz im Licht hat seinen Preis. Und dann, zzsch!«
Das unerwartete Geräusch ließ die Vögel aufflattern, und Marie hing gebannt an Gislas Lippen.
»Dann verbrennt das Feuer die flirrende Schönheit des Nachtschwärmers!« Gisla schob die weißen Ärmel bis über die Ellbogen empor, und Marie vergaß vor Entsetzen, Atem zu schöpfen. Was die Knochen umspannte, war eine rote Masse knotiger Haut, stellenweise so dünn, dass die Adern darunter zu sehen waren.
Gisla versteckte ihre verbrannten Arme wieder. »Ironischerweise blieben meine Hände und mein Gesicht vom Feuer verschont, doch der Rest meines Körpers sieht in etwa aus wie meine Arme. Für eine Kurtisane bedeutet der Verlust ihrer Schönheit das Ende ihrer Karriere, womit der abgewiesene Kunde seine Rache hatte.« Die alte Frau lehnte sich zurück und ließ die Sonne auf ihr Antlitz scheinen. »Mein Schicksal ist nicht einzigartig, beileibe nicht! Eine andere Variante der Rache abgewiesener Kunden oder rachsüchtiger Konkurrentinnen ist der sfregio – eine Verstümmelung des Gesichts durch einen hässlichen Schnitt.
Remigius, Melchior und Bernardus verbrachten die meiste Zeit zusammen. Sie teilten sich damals eine kleine Wohnung in der Alchemistengasse. Ich residierte in einem Haus direkt an der Moldau. Meine Verehrer machten mir die kostbarsten Geschenke: Seide aus China, Gewürze aus Persien, Schmuck, der einer Herzogin würdig war, und Edelsteine, die Remigius in Entzücken versetzten. Einmal brachte mir ein englischer Kaufmann einen Lycophthalmos!
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