Blut und Kupfer
er ihr stets mit Respekt begegnet und hatte ihr zugehört, wenn sie von den Angelegenheiten des Gutes sprach, das sie während seiner Abwesenheit leitete. Sie seufzte. Die Zeiten waren vorüber.
Ob Werno tatsächlich mit gezinkten Karten gespielt hatte, würde sie nie erfahren, und letzten Endes war das auch ohne Belang. Er hatte ihr gegenüber oft genug mit seinen Tricks geprahlt, und es war abzusehen gewesen, wann ihm ein Duellgegner überlegen sein würde. Graf Dietz von Hameling hatte ihren Gatten nach den Regeln und unter Zeugen mit dem Degen niedergestreckt. Vielleicht war Werno auf diese Art sogar einem schmachvollen Ende im Kerker oder dem Galgen entgangen, denn die neue Maximilian’sche Gesetzgebung ging mit Betrügern hart ins Gericht.
Nach Wernos Tod war das Gut verkauft worden, um die Außenstände zu decken, und noch immer dachte sie mit gemischten Gefühlen an jenen schrecklichen Tag. Natürlich hatte sie nicht die vollständige Verfügungsgewalt gehabt, und ein Rentmeister und ein Hofsekretär waren schnell mit dem Vollzug der Angelegenheiten bei der Hand gewesen.
Sie spürte eine vorsichtige Berührung auf ihrer Schulter. »Verzeiht, wenn Euch meine dummen Fragen traurig gemacht haben. Ich stecke die Spitze fest, hebt bitte das Kinn ein wenig.«
»Ich bin nicht traurig, Vroni, nur nachdenklich. Du hast mich da auf etwas gestoßen … Die Männer sagen ja immer, dass sie uns Frauen nicht mit Ernsthaftigkeiten behelligen, um uns zu schonen, dabei schieben sie das nur vor, um ihre Geheimnisse vor uns zu wahren.«
Vroni zupfte die Spitze an Maries Hals zurecht. »Schaut. So geht es. Die Herrin stecht Ihr allemal aus.«
Marie nahm das Kinn herunter und erblickte im Spiegel Vronis blühendes Jungmädchengesicht neben ihrem schmalen und viel zu blassen Antlitz. Entschlossen zog sie die Mundwinkel nach oben und zwickte sich in die Wangen.
Vroni lächelte. »Ihr seid sehr schön und, verzeiht, auch ausgesprochen klug! Geheimnisse hat vor Euch keiner lang, das nicht!«
Es klopfte an der Tür. »Es ist angerichtet!«, rief eines der Kammermädchen, die an Besuchstagen in der Küche und beim Auftragen der Speisen halfen.
Vroni machte einen Knicks und half Marie beim Aufstehen, denn die Kleidermode forderte von ihren Trägerinnen einiges an Geschicklichkeit. Marie atmete tief ein und strich die raschelnden Seidenfalten des Rockes glatt. Sie entschied sich noch für lange goldene Ohrgehänge und verzichtete auf weiteren Schmuck.
Auf dem Gang war es empfindlich kalt, denn aus Kostengründen wurde auf Kohlenbecken in Fluren und Treppenhäusern verzichtet. Schimmelspuren und nasse Mauersteine, die sich unter den Händen aufzulösen schienen, waren die Quittung für Sparsamkeit an falscher Stelle, dachte Marie und schritt die breite Treppe hinunter in die Halle.
Erstaunt stellte sie fest, dass ein verloren geglaubter Wandbehang wieder über einer Truhe in der Eingangshalle hing. Hirschgeweihe und blank geputzte Waffen an den Wänden trugen dazu bei, den Eindruck eines wohlhabenden Gutshauses zu wecken. Aus der Küche wehten Marie die Düfte des bevorstehenden Mahles entgegen. Ihr Magen knurrte vernehmlich, und sie bedauerte schon jetzt, dass sie in dem eng geschnürten Mieder kaum einen Bissen herunterbringen würde. Alle Dienstboten schienen mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt und eilten hierhin und dorthin, beladen mit Schüsseln, Kisten und Holz. Aras warf ihr einen bittenden Blick zu, und als sie aufmunternd nickte, rannte er den Düften und der Hoffnung auf ein Stück Wildschwein hinterher.
Sie hatte fast die letzte Stufe erreicht, als Pferdehufe vor dem Haus zum Halten kamen. Neugierig blieb Marie in der Halle stehen. Nachdem der späte Ankömmling den Türklopfer betätigt hatte, kam ein livrierter Bursche aus der Küche herbeigeeilt und entriegelte die Eingangstür. Als er eine Hälfte der doppelflügeligen Tür aufgezogen hatte, fegte ein kalter Windstoß in die Halle. Marie erschauerte. Ein großer Fremder mit wehendem Umhang trat herein. Die Kerzen verloschen, und ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit. Unsicher suchte sie Halt am Treppengeländer und wäre ausgerutscht, doch zwei kräftige Arme kamen ihr zu Hilfe.
»Madonna, keine Angst. Bleibt einfach stehen, bis die Kerzen entzündet sind.«
Die Stimme war dunkel und von einem unbekannten Akzent gefärbt. Marie spürte die Nähe des Fremden, der noch immer eine ihrer Hände hielt. »Danke«, sagte sie
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