Blut und Kupfer
und wunderte sich über den rauen Klang ihrer Stimme. Ihre Pupillen hatten sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt, und nun erkannte sie, dass der Fremde direkt vor ihr stand und sie mit unverhohlener Neugier musterte.
Er stand eine Stufe unter ihr, und sie befanden sich auf Augenhöhe, was bedeutete, dass er mindestens so groß wie Albrecht war. Dichte dunkle Locken fielen ihm auf die Schultern, und ein freches Lächeln umspielte seinen Mund. Das Kleid kam ihr plötzlich viel zu eng vor, und sie sog scharf die Luft ein, wobei sie eine Mischung aus Wald, Leder, Schnee und Pferd wahrnahm, die von dem Fremden ausging.
Endlich gelang es dem Burschen, die Kerzen wieder zu entzünden. »Ist alles in Ordnung, Herrin?«
Marie entzog dem Fremden energisch ihre Hand. »Ja.«
»Verzeihung.« Mit einer eleganten Bewegung trat der Fremde zurück, löste seinen Umhang und warf ihn dem verdutzten Burschen zu. Dann verneigte er sich tief vor Marie. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, fingen ernste dunkle Augen ihren Blick. Er hatte olivfarbene Haut und ebenmäßige Gesichtszüge, in die das Leben für einen Mann von vielleicht dreißig Jahren bereits tiefe Spuren gegraben hatte.
Verwirrt räusperte sich Marie. Es wäre an der Zeit, dass der Fremde sich vorstellte. Erwartungsvoll hob sie die Brauen. »Seid Ihr Doktor Kranz?«
Der Fremde schüttelte den Kopf. »Wenn Ihr auf diesen Herrn gewartet habt, hätte ich Euch gern den Gefallen getan, doch mein Name ist Sandracce. Ruben Sandracce.« Er sprach mit einem weichen südländischen Akzent.
»Oh«, entfuhr es Marie, und ihre Enttäuschung war nicht zu überhören.
IV
• •
Herzogliches Begehren
Die Sonne bedarf des Mondes wie der Hahn der Henne.
Michael Maier,
»Atalanta fugiens«, 1618
S eid Ihr auf der Durchreise und sucht ein Quartier für die Nacht?«, fragte Marie und bedeutete dem Burschen zu warten.
»Wenn dies das Gut Kraiberg des edlen Herrn Remigius ist, dann bin ich am Ziel meiner Reise angelangt.« Die letzten Worte sprach Ruben in Richtung des Jagdzimmers, aus dem Albrecht zu ihnen trat.
»Ich bin der Herr von Kraiberg. Was ist Euer Begehr?«, verlangte Albrecht zu wissen. Seine Wangen waren vom Wein bereits gerötet, und er baute sich demonstrativ vor Ruben Sandracce auf.
Beide Männer waren von kräftiger, muskulöser Statur, doch darin erschöpften sich die Gemeinsamkeiten. Albrecht verkörperte mit seinem violetten Samtwams, dem silberbeschlagenen Gürtel, in dem ein kostbarer Dolch steckte, den beringten Händen und dem geröteten Gesicht den adligen Lebemann. Der Fremde, der sich mit geschmeidiger Selbstsicherheit bewegte, trug entgegen der herrschenden Mode keinen Bart. Lederne Reithosen und Stiefel, ein schlichtes dunkelbraunes Wams und gute, aber nicht kostbare Waffen ließen keinen Schluss auf seinen Stand zu.
Ein Mann, dachte Marie, den man sich nicht zum Feind machen sollte und dessen ernste, undurchdringliche Miene die Entschiedenheit seines Auftretens unterstrich. Ein Höfling war er nicht, doch wie ein Kaufmann oder Bote wirkte er ebenso wenig.
»Ich habe in einer dringenden Angelegenheit mit Herrn Remigius von Kraiberg zu sprechen«, sagte Ruben knapp.
Albrecht hob eine Braue. »Und welche Angelegenheit könnte das wohl sein?«
»Das geht nur Signore Kraiberg und mich an.«
»Seid Ihr weit gereist, Herr Sandracce?«, erkundigte sich Marie mit einem vorwurfsvollen Blick auf ihren Bruder. »Ihr müsst hungrig sein.«
»Woher kommt Ihr? Aus dem Italischen?«, fragte Albrecht.
»Nein, aus Prag.«
»Ach. Gibt es Neuigkeiten?« Albrechts Interesse war geweckt.
»Nun, auf den Straßen wird viel geredet. Die Habsburger sind nicht gut gelitten. Graf Thurn sammelt ständig Verbündete, und seit seiner Erhebung in den Fürstenstand macht Bethlen Gabor vehement Front gegen Kaiser Matthias. Es gehen Gerüchte über Ferdinand von der Steiermark. Der Kaiser ist alt und krank und will ihn angeblich zum König von Böhmen und dann zu seinem Nachfolger machen.«
»Dazu müssten die Brüder des Kaisers zuerst von ihren Erbansprüchen zurücktreten«, wandte Albrecht ein.
»Warum sollten sie nicht, wenn die Entschädigung hoch genug ist …«, meinte der Böhme achselzuckend.
Unwillkürlich dachte Marie an eine Unterhaltung, die sie mit Remigius geführt hatte. Ihr Oheim hatte ihr erklärt, dass Graf Thurn der Sprecher der böhmischen Stände und ein mächtiger Mann in seiner Heimat war. In Siebenbürgen herrschte eine tiefe
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