Blut und Kupfer
…«, gab Kranz zu bedenken.
»Wer kann schon von sich behaupten, ein mustergültiges Leben zu führen!«, erwiderte Albrecht.
Marie räusperte sich. »Ganz recht.« Sie dachte daran, wie sich der kleine Georg früher oft in ihrem Zimmer vor Albrecht und dessen Freunden versteckt hatte. Er war ein hübscher, zarter Junge mit blonden Locken gewesen. In bleibender Erinnerung war ihr seine Anhänglichkeit an einen ihrer Hauslehrer geblieben. Ihr Vater hatte den jungen Französischlehrer plötzlich und ohne ersichtlichen Grund aus dem Haus geworfen, was Georg in eine monatelange Trauer gestürzt hatte. Damals hatte Marie sein Verhalten als die übersteigerte Schwärmerei eines Jungen abgetan, doch später hatte sie Georg in verfänglichen Situationen mit Stallburschen und Hirten überrascht und sich ihren Reim darauf gemacht.
»Und was könnte man Georg vorwerfen?«, wollte Eugenia wissen. »Hält er es etwa mit den Lutherischen? Oder gar mit den Wiedertäufern? Heilige Mutter Gottes! Sogar ein angesehener Goldschmied wie der Altenstetter war dessen verdächtig und wurde verhört! Halt, nein, war es nicht wegen der spiritualistischen Lehre des Caspar Schwenckfeld, dass man den Goldschmied …«
Albrecht schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, so dass die Gläser klirrten. »Genug! Kümmert Euch um die Mädchen! Seht Ihr nicht, dass sie überhaupt keine Tischmanieren haben? Sie glotzen und kauen mit offenem Mund. So werde ich nie eine anständige Partie für sie finden!«
»Aber …«, hob Eugenia an, verstummte jedoch, als sie den wütenden Gesichtsausdruck ihres Gatten sah, und begann leise mit ihren Töchtern zu flüstern, denen bereits Tränen in den Augen standen.
Obwohl Marie die Mädchen nicht besonders mochte, taten sie ihr leid. Sie spürte, wie Aras sich neben ihren Stuhl drängelte und seine Schnauze unter ihren Röcken gegen ihre Wade drückte. Er grunzte zufrieden, woraus sie schloss, dass er sich den Bauch in der Küche vollgeschlagen hatte. Martha, die Köchin, hatte immer ein Stück Fleisch oder einen Knochen für ihn und gab auch den Katzen, von denen sich Dutzende im Haus und auf dem Hof tummelten, was sie erübrigen konnte. Wer hart arbeitet, muss gut essen, pflegte sie zu sagen, und Marie lächelte ganz in Gedanken.
»Eure Schwester scheint sich zu amüsieren. Ich schätze Frauen mit einem heiteren Gemüt«, sagte Doktor Kranz.
»Es war nicht Eure Andeutung über Georg, die mich amüsiert, ganz im Gegenteil! Wenn Ihr schon wisst, dass man über Georgs Verhalten spricht, warum warnt Ihr ihn nicht oder redet ihm ins Gewissen? Einen gut gemeinten Rat wird er beherzigen«, bemerkte Marie spitz.
»Glaubt mir, das habe ich bereits.« Doktor Kranz beugte sich vor und sah sie eindringlich an. »Ich mag Euren Bruder. Er ist ein netter Bursche und ein guter Sekretär.«
Pater Hauchegger rülpste, klopfte sich auf den Leib und lehnte sich zurück. »Ja, vielleicht sollte ich dem Georg ins Gewissen reden! Geistlicher Beistand ist es, was der Seele am meisten hilft!«
»Manchmal benötigt auch ein Ordensbruder Beistand. Der junge Pater Anselm scheint mir da in seelischer Not zu sein. Beginnt bei ihm!«, sagte Doktor Kranz mit unerwartet scharfer Stimme.
»Wie? Warum Anselm?«, entrüstete sich Pater Hauchegger, leerte sein Weinglas und verschloss plötzlich mit einem Ausdruck schmerzhafter Erkenntnis den Mund.
»Mich würde interessieren, ob unser unerwarteter Gast die Gunst meines Oheims erlangt hat«, lenkte Albrecht ab, dem das Gespräch sichtlich unangenehm war.
»Ein Gast?« Neugierig sah Doktor Kranz zur Tür.
»Aus Prag. Ruben Sandracce ist sein Name«, erläuterte Albrecht.
»Warum habt Ihr ihn nicht mit an den Tisch gebeten? Er hätte uns Neuigkeiten von Kaiser Matthias berichten können!« Magnus Kranz zupfte die Spitzen glatt, die aus seinem Ärmel hervorschauten. Sein Wams und die Kniebundhosen waren schwarz, ebenso seine Strümpfe und die festen, mit einer Silberschnalle verzierten Lederschuhe.
Bei der Erwähnung des Fremden atmete Marie hörbar ein. Sie legte Gabel und Messer auf ihren Teller, von dem sie kaum einen Bissen genommen hatte. Die Diener räumten die großen Schüsseln und Platten ab und stellten einen Apfelkuchen und Zuckergebäck auf den Tisch. Kandierte Früchte oder Datteln hatte Marie nicht mehr gegessen, seit sie Langenau verlassen hatte. Auch Zimt, Koriander und andere feine Gewürze vermisste sie. Die Winteräpfel verströmten einen aromatischen Duft, und Marie
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