Blut und Kupfer
Ordensschwestern bemerkte sie und nahm ihre Hand. »Hier werden die Armen aus der Stadt versorgt. Das ist kein Ort für jemanden, der solchen Anblick nicht gewohnt ist. Im ersten Stock behandeln wir die Damen.«
Maries Magen beruhigte sich, und sie schämte sich für ihre Empfindlichkeit. Auf dicht stehenden Pritschen lagen alte und junge Frauen, Kinder und Kleinkinder, und alle schienen dankbar, hier sein zu dürfen, denn niemand schrie oder krakeelte. »Es geht mir gut, danke. Kann ich helfen?«
Die Krankenpflegerin, eine robuste Person mit kräftigen Armen, sah sie überrascht an und schüttelte energisch den Kopf. »Das hier ist nichts für Euch. Ihr würdet gleich krank, wenn Ihr den armen Seelen hier zu nahe kämet. Wir sind daran gewöhnt.«
»Ihr täuscht Euch, Schwester. Darf ich Euren Namen erfahren?«
»Schwester Iris.« Die Frau mochte in Maries Alter sein. Pockennarben und tiefe Linien hatten das junge Gesicht bereits gezeichnet, dessen sanfte Augen immer wieder voller Mitgefühl über die Krankenbetten wanderten.
»Marie von Langenau. Ich habe keine direkte Erfahrung in der Krankenpflege, aber ich habe das Gut meines verstorbenen Gatten geführt und mich um die Sorgen und Nöte der Leute dort gekümmert.«
Eine Frau schrie und krümmte sich, und Iris winkte einer anderen Schwester, nach der Leidenden zu sehen. »Euer Angebot ist sehr großmütig, und ich werde es bedenken. Wie lange werdet Ihr bei uns sein?«
»Ich weiß noch nicht.« Beschämt senkte Marie den Kopf. Was sollte die Schwester anderes denken, als dass sie ihre Hilfe anbot, um sich abzulenken vom ereignislosen Alltag des Hoflebens?
Die Schreie der Kranken verstärkten sich. »Wie gesagt, die Damen findet Ihr oben. Gott mit Euch!« Iris eilte ihrer Mitschwester zu Hilfe, und Marie verließ niedergeschlagen den bedrückenden Ort.
Unschlüssig schaute sie von dem Korridor ins Treppenhaus hinauf, wo kränkelnde Hofdamen kuriert wurden, und entschied sich für einen weiteren Spaziergang durch den Garten. Kaum hatte sie den Kreuzgang betreten, kam eine junge Dienerin auf sie zu.
»Ein Herr Geheimrat Zeiner erwartet Euch im Besucherraum, Hochwohlgeboren.« Das Mädchen knickste. »Bitte, hier entlang.«
Die Möglichkeit, dass Marie den Herrn nicht sehen wollte, schien nicht in Erwägung gezogen zu werden. Dem Ruf eines herzoglichen Beamten war Folge zu leisten. Was mochte er von ihr wollen? Vroni konnte erst seit Stunden auf dem Gut sein und ihr Oheim somit noch nicht auf den Brief und das Buch reagiert haben, wenn er es überhaupt erhalten hatte.
Der Besucherraum befand sich neben dem Pförtnerzimmer am Durchgang zur Residenz und war ein weiß gekalkter Raum mit übermannshohem vergittertem Fenster, unter dem ein Kruzifix hing. Auf einem Tisch stand eine Marienfigur, und es gab vier wenig einladende Stühle. Zeiner stand vor der Madonna und wischte sich die Nase, als Marie den Raum betrat.
Er hat Tabak geschnupft, dachte Marie angewidert und registrierte, dass das Mädchen die Tür offen ließ, als könne der Geheimrat ihre Sittlichkeit in Gefahr bringen!
»Frau von Langenau, wie schön, Euch wohlauf und an einem so gottgefälligen Ort zu finden«, begrüßte Zeiner sie und wollte ihr einen Stuhl hinrücken.
»Danke, ich stehe gern. Womit verdiene ich Euren Besuch?«
Zeiner strich sich über den Schnurrbart und tippte auf die Tischplatte vor der Marienfigur. »Dass die Herzogin Euch diese Ehre zuteilwerden ließ, kam Euch gelegen?«
»Ich verstehe nicht.« Argwöhnisch betrachtete sie ihr Gegenüber.
»Nein? Dann muss ich deutlicher werden. Man hat mir zugetragen, dass Ihr das Kapuzinerkloster oberhalb des Neuhauser Tors aufgesucht habt.« Er machte eine Pause und sah sie erwartungsvoll an.
Wer hatte ihm davon berichtet? Abt Jacobus sicher nicht, Bruder Thomas oder der Pförtner? Sie räusperte sich. »Das ist richtig.«
Zeiner lächelte betont geduldig. »Würdet Ihr mir den Grund Eures Besuchs verraten?«
Sie erwiderte sein Lächeln. »Neugier. Ich hatte noch nie zuvor ein Kapuzinerkloster besucht. Die Mönche kümmern sich mit großer Hingabe um die Bedürftigen.«
Ungeduldig runzelte Zeiner die Stirn. »Bitte, ich verschwende nur ungern meine Zeit und könnte Euch vorladen lassen.«
»Und warum das?« Sie ging davon aus, dass er sie einschüchtern wollte, um herauszufinden, wie viel sie über den Tod von Melchior Janus wusste.
»Seid Ihr nicht dort gewesen, als ein Mönch den Tod fand, ein Mönch, den Ihr besuchen
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