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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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ich, dass die beiden weder Geld noch Scheckkarte dabeigehabt hatten. Also waren sie nach Hause gefahren. Und irgendwann hatten sie mich schlichtweg vergessen.
    Ich wartete zehn Minuten, bis mich die Geduld verließ. Doch in derselben Sekunde, in der ich aufsprang, kam Armin zurück. In der Hand trug er einen Stapel Zettel. Er warf sie auf den Tisch, sodass sie sich darauf verteilten. Interessiert beugte ich mich darüber. Es gab tatsächlich noch Zeitgenossen, die sich die Mühe machten, auf umständlichste Weise Buchstaben aus der Zeitung zu schneiden und diese auf ein Blatt Papier zu kleben.
    Nicht willkürlich, sondern so, dass sie, neu angeordnet, einen neuen Sinn ergaben.
    TOD DEN LANDESVERRÄTERN – LIPPISCHE BÜRGER GEGEN ANARCHOS.
    Oder auch: GEGEN FREMDE RASSEN – ZÜCHTET LIEBER DEUTSCHE SCHÄFERHUNDE!
    Ich ließ die Pamphlete eine Zeit lang auf mich wirken. Dann wagte ich eine erste vorsichtige Analyse: »Die haben euch verwechselt!«
    Armin schüttelte den Kopf, während er sich eine weitere Selbstgedrehte ansteckte.
    »Dann hat sich jemand einen Scherz mit euch erlaubt.«
    »Dachten wir zuerst auch«, fand er endlich wieder zur Sprache zurück. »Deswegen haben wir mit den ersten Briefen auch den Ofen geheizt. Dann wurden uns eines Tages die Fenster eingeworfen. Als Nächstes wurden die Reifen zerstochen.«
    »Warum hast du mir nie etwas davon erzählt?« Ich war verwirrt. »Seid ihr zur Polizei gegangen?«
    »Zu den Bullen? Bist du verrückt? Lieber verrecken als mit den Klassenfeinden koalieren.«
    »Ach komm«, winkte ich ab. »Tu doch nicht so, als wärst du noch der alte Kommunarde. Ihr trinkt den gleichen, nicht fair gehandelten Kaffee wie ich, und euer Diesel pustet auch nicht nur Wattebäuschchen in die Atmosphäre.«
    Mir wurde bewusst, dass ich in der Mehrzahl sprach. So als würde Ludwig noch leben.
    Armin wandte sich. »Na ja, das hatte noch einen anderen Grund. Wir sind damals aus Berlin abgehauen, weil wir bei einigen Aktionen gegen kapitalistische Auswüchse nicht gerade im Hintergrund agiert haben. Die Polizei hatte uns im Visier. Wir konnten uns gerade noch rechtzeitig aus dem Staub machen.«
    »Ist das nicht alles längst verjährt?«
    »Klar, wir haben schließlich keinen umgebracht. Unsere Gewalt richtete sich nur gegen Mauern und Zäune. Trotzdem behandeln die Bullen uns heute noch so, als wären wir die übelsten Kinderschänder. Die Dorfsheriffs gucken uns doch jedes Mal scheel an, wenn wir denen über den Weg laufen.«
    Für seine Verhältnisse hatte er sich regelrecht in Rage geredet.
    »Es ist noch nicht zu spät«, unterbrach ich ihn. »Du solltest der Polizei diese Zettel zeigen. Vielleicht ist es gar nicht so schwierig, den oder die Absender herauszufinden. Nur noch Anfänger schneiden Buchstaben aus der Tageszeitung aus und kleben sie mit Uhu auf Schreibmaschinenpapier. Apropos, zeig mal her!«
    Ich hielt eines der Blätter gegen das Licht. Es war tatsächlich ein Wasserzeichen zu erkennen. »Da hat ja einer tief in die Tasche gegriffen.«
    Es handelte sich um ein Markenpapier der Marke Zanders. Ein Papier, das viel zu teuer war, als dass man es im Fünfhunderterstapel für Computerausdrucke benutzte. Früher war es dagegen Zeichen des guten Stils gewesen, auf ein mit einem Wasserzeichen veredeltes Papier entweder per Hand zu schreiben oder es in die Schreibmaschine zu spannen.
    »Ich wette, das Papier ist mindestens zehn Jahre alt. Außerdem wird sich im Haushalt des Absenders eine Schreibmaschine befinden. Und ich wette, er hat weder einen Computer noch ist er ans Internet angeschlossen. Wahrscheinlich ist er über sechzig, ziemlich altmodisch, um nicht zu sagen hinterwäldlerisch und nicht eben verschwenderisch. Immerhin hat das Blatt bei ihm überdauert.«
    »Sorry, ich kann deinen Ausführungen nicht folgen.«
    »Professionelle Erpresserbriefe werden heute auf dem Computer geschrieben. Die Datei wird auf einem externen Datenspeicher, beispielsweise einem USB-Stick, gespeichert, sodass sie erst auf dem Computer gar nicht existiert. Danach wird sie auf einem fremden Computer ausgedruckt. Der USB-Stick wird anschließend vernichtet. Niemand mehr wird dann den Verursacher dieser Nachricht identifizieren können.«
    »Verstehe«, nickte Armin nachdenklich. »Zur Polizei gehe ich trotzdem nicht.«
    Er war noch genauso stur wie vor Ludwigs Verschwinden.
    »Das ist kein Spiel mehr!«, herrschte ich ihn an. Ich konnte nicht verhindern, dass ich aus der Haut fuhr. »Vergiss die

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