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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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war. Sie hob den Kopf und schaute uns mit ihren großen dunklen Augen an.
    »Das wäre wirklich ein Grund«, gab Hölderlin zu.
    »Sie lieben Tiere mehr als Menschen?«
    Er überlegte kurz. »Nein, das kann man so nicht sagen. Sonst wäre ich nicht Arzt geworden.««Es gibt auch Tierärzte.«
    »Sagen wir es mal so: Ich habe den Menschen noch nicht getroffen, der mich davon überzeugt hätte, dass der Homo sapiens über den Tieren oder über der Natur steht. Die Menschheit läuft sehenden Auges in ihr Verderben. Und ich rede nicht davon, dass es in den nächsten Jahren vielleicht kein Thunfisch-Sushi mehr geben wird, weil der atlantische Rote Thunfisch ausgestorben sein wird. Seit 1970 sind die Bestände um achtzig Prozent zurückgegangen.«
    »Und das liegt daran, weil die Menschheit zu viel Sushi frisst?«
    »Das liegt daran, dass die geldgierigen Europäer viel mehr Thunfische fangen, als die Bestände verkraften.«
    Zum ersten Mal hatte ich ihn so weit, dass er Emotionen zeigte. Abwehrend hob ich die Hände. »Ich gebe nichts auf Sushi, mein Ehrenwort. Trotzdem schlimm, so etwas.«
    Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn ich auf meine wöchentliche Currywurst verzichten müsste, weil die Würste plötzlich ausgestorben wären. Wahrscheinlich lag es an den Schmerzen. Ich begann zu fantasieren.
    »Wie wäre es, wenn wir das Gespräch ein andermal fortsetzen?«, sagte ich matt.
    »Sie Idiot!«, zischte er wieder. Danach gab er mir den Befehl, mich auszuziehen und mich wieder aufs Sofa zu legen.
    Ich schwieg und konzentrierte mich ganz auf die Prozedur, die auch er nun schweigsam vollzog. Er wechselte die Verbände, klebte Pflaster, zog Klammern und Fäden, entfernte Eiter und verkrustetes Blut. Ich ging durch die Hölle, aber ich verschaffte ihm nicht die Genugtuung, auch nur einen Schmerzenslaut von mir zu geben.
    »Sie sind ein ganz Harter, was?«, sagte er schließlich. Er hielt eine Nähnadel hoch.
    »Was wollen Sie damit?«, stöhnte ich.
    »Nähen!« Als er die Panik in meinem Blick sah, grinste er. »War nur Spaß, die Wunden sind erstaunlich gut verheilt.«
    Dann endlich holte er aus seiner riesigen Tasche ein Röhrchen mit Tabletten heraus. Er gab mir drei Pillen. Eine war rot, eine hellblau, die dritte weiß. Ich spülte sie mit heißem Kaffee hinunter.
    »Das wird reichen, damit Sie den Abend überstehen«, versprach er. »Für die Nacht und für morgen lasse ich Ihnen noch ein paar von den Schmerztabletten da. Wie wär’s jetzt mit einem Cognac?«
    Der Parkplatz vom Neuen Krug war proppenvoll. Auch links und rechts der Straße war alles vollgeparkt. Mit Müh und Not fanden wir eine Lücke. Hölderlin, dessen Vorname Volkwin war, wie ich inzwischen erfahren hatte, ohne dass er auf mein Angebot, uns zu duzen, eingegangen wäre, stieg als Erster aus. Er öffnete den Kofferraum und holte den klappbaren Rollstuhl heraus. Ich fühlte mich so pudelwohl, dass ich abwinkte.
    »Das schaffe ich schon.«
    »Überschätzen Sie sich nicht«, warnte er. Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Also setzte ich mich hinein und ließ mich von ihm über die Straße schieben. Ich schaute auf die Uhr. Es war fünf vor sieben.
    Es nieselte leicht. Typisches Aprilwetter, dachte ich. Und eigentlich viel zu kühl für die Jahreszeit. Ich musste an die Störche denken.
    »Wer hat eigentlich zu dieser Versammlung geladen?«, fragte Hölderlin.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber wir werden es erfahren.«
    Er öffnete die Tür zum Neuen Krug und bugsierte mich auf meinem Rollstuhl hinein. Die Luft nahm mir den Atem. Sie war stickig und schwer. Trotz des Rauchverbots wallte mir eine Wolke von Zigarettenqualm entgegen.
    Hölderlin schob mich vorwärts. Ich erkannte einige vertraute Gesichter. Da Armin Landwirt war, hatte ich mit der Zeit zwangsläufig einige Kollegen von ihm kennengelernt. Ich wunderte mich, dass auch Norbert da war. Ich machte Hölderlin auf ihn aufmerksam.
    Er schob mich in Norberts Richtung. Die beiden kannten sich bereits aus dem Krankenhaus und nickten sich nur zu.
    »Aha, Dr. Frankenstein und sein Geschöpf«, begrüßte mich Norbert. »Sag mal, bist du verrückt, in deinem Zustand hier aufzutauchen?«
    »Und du, was treibt dich hierher? Du willst mir doch nicht erzählen, dass du deinen freien Abend hier verbringst?«
    Sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an. »Hör endlich auf mit dem Räuber- und Gendarmspiel, Moritz. Das ist ein guter Rat von mir.«
    Ich setzte eine harmlose Miene auf.

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