Blut und Rüben
»Ich weiß gar nicht, wovon du redest«, erwiderte ich. »Armin hat mich eingeladen.«
In dem Moment betrat ein Mann das behelfsmäßige Rednerpult, das vor der Theke aufgestellt worden war, und räusperte sich ins Mikrofon. Ich kannte den Mann nicht, wahrscheinlich handelte es sich nur um den Techniker.
Dafür sah ich plötzlich Armin. Er stand ganz am anderen Ende, fing jedoch meinen Blick auf. Wir grüßten uns zu. Er zuckte bedauernd mit den Schultern und signalisierte mir damit, dass er wohl oder übel an seinem Platz bleiben musste. Es war einfach zu voll, um zu mir zu gelangen. Nach und nach erkannte ich weitere bekannte Gesichter. Einige Kommunalpolitiker, zwei Leute von der Presse. Und sogar unser Landrat war durch seinen Pressesprecher vertreten.
Normalerweise hätte ich mir von so einem Abend nicht viel versprochen. Zu viele Stammtische, zu viele Politiker, von denen man sowieso nur die gewohnten Phrasen zu hören bekommen würde.
Doch die Stimmung hier war anders. Eine nicht zu greifende, aber dennoch spürbare Spannung lag in der Luft.
Es war Punkt sieben. Ich wunderte mich, dass plötzlich Armin das Rednerpult betrat. Ausgerechnet Armin, der den Mund sonst nie aufbekam. Hatte ich da etwas verpasst?
»Guten Abend, liebe Freundinnen und Freunde. Guten Abend, meine Damen und Herren«, begann er erstaunlich selbstsicher. Die Gespräche verstummten. Jemand schlug irgendwo eine Tür zu und kam hereingestiefelt. Danach herrschte Stille. Eine Stille, in der man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können.
»Ich danke euch, dass ihr heute Abend so zahlreich hier erschienen seid. Ihr wisst alle, was mit Ludwig passiert ist. Wer ihn auf dem Gewissen hat, kann heute noch niemand sagen.« Er schaute in Norberts Richtung, und ich hatte das Gefühl, dass dieser sich unwillkürlich duckte, so als schäme er sich, dass er den Mörder noch nicht gefasst hatte.
»Egal«, fuhr Armin fort. »Der Mörder wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen, das schwöre ich euch. Jedenfalls hoffe ich, dass ihr alle ebenso zahlreich zu Ludwigs Beerdigung erscheinen werdet. Noch ist der Leichnam aber nicht freigegeben.
Aber das ist nicht der Grund, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Besucher, dass wir uns heute Abend hier versammelt haben. Das Thema, das uns alle bewegt, lautet: Gentechnik ...«
»Kommt nicht in die Rübe!«, rief jemand aus dem Publikum. Lachen und Grölen folgten. Die Stimmung schien bereits jetzt aufgeheizt, obwohl noch nicht viele Worte gefallen waren.
»Erstmals seit fast einem Jahrzehnt sind in Deutschland wieder Versuche mit genmanipulierten Zuckerrüben beantragt worden. Leider hat es diesmal unser Anbaugebiet erwischt. Oder soll ich sagen: zum Glück? Denn es ist ja wohl klar, dass wir jeglichen Vorstoß in diese Richtung verhindern werden.«
»Darauf kannst du dich verlassen!« Das Publikum schrie und johlte. Wenigstens die meisten. Die Bauern. Die andere Fraktion, die Politiker, duckte sich eher weg. Einige quälten sich ein Lächeln ab.
»Aber was soll ich lange herumreden, lassen wir doch eine Expertin zu Wort kommen. Frau Erika Geier-Bauerfeindt war lange Zeit bei den Grünen. Jetzt ist sie im Ruhe-, äh, Widerstand tätig und schreibt für verschiedene Zeitungen. Sie wird uns jetzt einen Überblick über die Lage geben.«
Das Publikum rang sich einen spärlichen Applaus ab, während eine kleine, drahtige Frau mit karottenroten Haaren das Podium betrat. Ich schätzte sie auf höchstens fünfzig. Sie erinnerte mich an Claudia Roth auf Nahrungsentzug.
Der Applaus verebbte rasch. Der Lipper ist sparsam, auch was Vorschusslorbeeren betrifft. Lieber mal zu wenig applaudiert als zu euphorisch, man konnte ja nie wissen, wozu man die Hände noch brauchte.
Frau Erika Geier-Bauerfeindt begann ohne Vorrede. Und sie redete ohne Punkt und Komma:
»Erstmals seit Beginn des neuen Jahrtausends sollen wieder Versuche mit genmanipulierten Zuckerrüben unternommen werden. Dazu sage ich Nein! Angemeldet hat die Versuche der amerikanische Saatgutkonzern SWK, dessen hundertprozentige Tochter wiederum die Firma BT NATURE ist. Wer jedoch hinter BT NATURE steht, weiß niemand so recht. Viele von Ihnen haben in den vergangenen Wochen und Monaten Post oder gar einen persönlichen Besuch von dieser Firma bekommen. SWK geht weltweit nach dem gleichen Schema vor: Es kauft große, zusammenhängende Grundstücke auf und pflanzt dort genmanipulierte Pflanzen an. Dabei setzt SWK auf die bestehende
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