Blut und Rüben
Sie haben behauptet, die Sorge um den Freund Ihres Cousins hat sie dorthin gezogen. Merkwürdigerweise kannten Sie aber zufällig auch den anderen Toten, Reginald Dickens. Und Sie kamen just in dem Augenblick dazu, als seine Leiche geborgen wurde.«
»Ja, ich wohne zufällig auf seinem Anwesen.«
»Sie haben Glück: Wir vermuten einen rechtsextremistischen Hintergrund bei der ganzen Sache. Ihre Vita aber deutet eher in die andere Richtung. Dennoch möchte ich Sie bitten, sich schon mal ein astreines Alibi für die Tatzeiten zurechtzulegen. Kann nie schaden. Trotzdem: Nicht dass Sie sich etwas darauf einbilden. Wir sind schon einige Wochen hier. Eigentlich ermitteln wir in einer ganz anderen Angelegenheit ...«
Diese verriet er mir jedoch nicht. Also fragte ich auch gar nicht erst danach.
Mein Frühstück wurde serviert. Eigentlich hätte ich es jetzt doch lieber an einem separaten Tisch eingenommen.
Dennoch nahm ich mir vor, mir den Appetit nicht verderben zu lassen. Als Erstes beschnupperte ich den Pickert. Der normale lippische Pickert ist ein handtellergroßer Kartoffelfladen, der mit Hefe, lauwarmer Milch, Mehl und Zucker vermischt wird, sodass er entsprechend aufgeht. Er wird in heißem Fett in der Pfanne gebraten. Egal, ob man unter den Teig Korinthen oder Rosinen mischt oder darauf verzichtet: Ein Pickert liegt ungefähr so schwer im Magen wie ein Ziegelstein.
Zum lippischen Frühstück hatte man sich glücklicherweise für die Tapas-Variante entschieden: Der Pickert war kaum größer als ein altes Fünfmarkstück. Dafür gab es als Beilage reichlich Leberwurst und Rübenkraut, um ihn aufzupimpen. Das Ergebnis schmeckte in der Tat nach mehr.
»Das Zeug ist tatsächlich essbar?«, wunderte sich die BKA-Dame.
»Es ist sogar saulecker. Haben Sie schon mal einen richtigen Pickert gegessen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich lade Sie gerne mal auf einen Pickert ein.«
»Klar, und nachher zeigen Sie mir noch Ihre Briefmarkensammlung.« Zum ersten Mal teilten sich ihre Lippen zu einem Lächeln.
»Damit kann ich leider nicht dienen, aber ich habe ein paar Playmobilmännchen, die ich Ihnen präsentieren könnte.«
Stahl erhob sich, während Frau Leisenscheidt zögerte. »Heute Abend habe ich frei. Ihre Playmobilsammlung interessiert mich.«
Frau Leisenscheidt erhob sich ebenfalls. »Dann bis heute Abend.«
»Sie wissen, wo ich wohne?«
Sie zwinkerte mir zu. »Wir wissen im Allgemeinen alles.«
Ich sah den beiden nach. Frau Leisenscheidts Anzug offenbarte einen kleinen Schönheitsfehler: Über der linken Hüfte sorgte eine deutlich sichtbare Ausbeulung für eine gewisse Asymmetrie. Frau Leisenscheidt, so schien’s, verließ sich nicht allein auf ihre wenigen natürlichen Waffen.
Nachdem die beiden den Speisesaal verlassen hatten, widmete ich mich wieder meinem üppigen Frühstück.
»Schön, dass du dich mal wieder hierher verirrst«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich schaute mich nicht um, sondern wartete, bis er Platz genommen hatte.
Rolf Zankerl war verantwortlich dafür, dass den Gästen im Lipper Hof das Frühstück genauso gut schmeckte wie das Mittagsmenü und die Abendtafel. Er verzichtete bewusst darauf, nach Sternen, Hauben und sonstigem Klimbim zu schielen. Dafür kreierte er eine bodenständige Küche, die sich weit über die lippischen Landesgrenzen hinaus herumgesprochen hatte. Rolf war ein begnadeter Koch. Er brennt für den Herd, hatte einmal ein bekannter Restaurantkritiker geschrieben. Rolf hätte längst sein eigenes Restaurant betreiben können – in jeder deutschen Großstadt. Aber er blieb lieber den Lippern treu. Ich war mir nicht so sicher, ob die seine Großmut zu schätzen wussten, aber immer mehr Besucher kamen von weit her, um Rolfs Küchenkünste zu goutieren.
Er war kleiner als ich, aber dafür schlanker und drahtiger. Sein kahler Schädel war ebenso sein Markenzeichen wie sein Ziegenbärtchen, mit dem er einem bekannten Fernsehkoch sehr ähnlich sah.
Wir gaben uns die Hand. »Weißt du eigentlich, wem du deine Zimmer vermietest?«, fragte ich.
»Ich bin für die Küche zuständig. Mich interessiert, woher das Fleisch stammt. Ob das Rind, das ich zubereite, ein glückliches Leben gehabt hat, ob es frei herumlaufen durfte und wie es geschlachtet wurde. Mich interessiert, ob die Steckrüben, die heute Mittag auf den Tisch kommen, aus der Umgebung stammen oder unsinnigerweise von weiter her. Alles, was mit der Küche zusammenhängt, ist mein Reich. Den Rest erledigt
Weitere Kostenlose Bücher