Blut und Silber
Kopfputz abgestreift und ihr Haar berührt, sie geküsst und an sich gepresst.
Doch der Schreck über die Umstände ihres Wiedersehens lähmte sie beide. So sahen sie einander nur an, ohne ein Wort zu sagen.
»Dieser junge Mann hier möchte dich wissen lassen, dass er Flucht und Verwundung überlebt hat, Liebes«, sagte Meister Conrad mit überraschend sanfter Stimme. »Nun geh wieder und lass dir bei der Arbeit helfen, Kind.«
Plötzlich schien eine Sturzflut in Ännes Augen zu schießen. Rasch drehte sie sich um und lief aus der Kammer.
Markus wollte ihr nachgehen, aber der Medicus hielt ihn am Arm zurück. »Lass sie! Es ist für sie das Beste so.«
Markus wollte widersprechen. Doch was hätte er einwenden können? Marsilius hat recht, gestand er sich verbittert ein. Er konnte ihr weder ein Heim noch eine sichere Zukunft bieten, nicht einmal die nächste Mahlzeit. Und er könnte beim ersten Schritt aus diesem Haus verhaftet werden. Es war wohl besser, wenn sie sich von ihm fernhielt, so hart es ihn auch ankam. Zumal sie jetzt vor Gott und der Welt für alle Zeit das Eheweib des Medicus war.
Meister Conrad räusperte sich.
»Ich habe auch eine gute Nachricht für dich, Junge.«
Ungehalten drehte sich Markus zu ihm um. Was für eine gute Nachricht sollte das jetzt noch sein, wo gerade seine ganze Hoffnung zerschlagen worden war?
Wieder räusperte sich der einstige Ratsherr.
»Dein Bruder lebt.«
»Lebt? Jan? Aber er kämpfte im letzten Schildwall, als die Stadt eingenommen wurde. Die Männer sind alle gefallen!«
»Nein, sind sie nicht. Nicht alle«, widersprach ihm Marsilius.
Der junge Mann starrte ihm ins Gesicht. Welche unerwarteten Schicksalswendungen würde dieser Tag wohl noch für ihn bringen?
Marsilius begann zu erzählen, wie er am Ende der Blutnacht, als die erbarmungslosen Sieger ihren Rausch ausschliefen, zusammen mit dem Pater von St. Marien das Burglehen nach Überlebenden abgesucht und sie bei sich versteckt hatte.
»Dein Bruder hat überlebt. Auch wenn ich ihm eine Hand abnehmen musste …«
Markus schluckte. »Die Linke oder die Rechte? Und ist er noch hier, in Freiberg? Wisst Ihr, wo er steckt?«
»Ja.« Nun zog so etwas wie die Andeutung eines Lächelns über das zerfurchte, strenge Gesicht des Arztes. »Die erste Zeit hielt ich ihn hier verborgen, dann hat sich die Innung der Zimmerer seiner angenommen, euerm Vater zuliebe. Doch als die neuen Herren den Judaslohn auf diejenigen aussetzten, die zum Schluss noch auf Freiheitsstein gekämpft hatten, musste er sich verstecken. Er und noch ein paar von deinen Männern.«
»Warum habt Ihr mir das nicht gesagt, als ich die Stadt verlassen musste?«, fragte Markus schroff.
»Weil ich damals noch nicht wusste, ob ich ihn durchkriege. Ich wollte dir keine falschen Hoffnungen machen. Und ich befürchtete, dann würdest du vielleicht nicht gehen wollen. Doch das wäre dein Untergang gewesen.«
»Wisst Ihr, wo ich meinen Bruder finde?«
»Unterm Dach der Schankstube in der Petersgasse.«
Verblüfft starrte Markus auf den Arzt. »Da wimmelt es von Königlichen! Ich habe es vorhin selbst gesehen, als ich vorbeigeritten bin.«
Der Stadtphysicus grinste. »Wo versteckt man etwas am sichersten? Direkt unter der Nase derjenigen, die es suchen. Die Trunkenbolde ahnen nicht, wer da genau über ihren Köpfen Pläne schmiedet und zugleich manches aufschnappt, das eigentlich nicht für Gegner des Königs gedacht ist. Und für diejenigen von uns, die nicht gesucht werden, ist es völlig unverdächtig, eine Schankstube zu betreten. So können wir unauffällig Nachrichten austauschen.«
»Das ist furchtbar leichtsinnig!«, fuhr Markus ihn an. »Wollt ihr allesamt durch einen dummen Zufall entdeckt und doch noch hingerichtet werden?«
»Nein, ist es nicht!«, wies der Arzt ihn streng zurecht. »Wir hatten hier inzwischen genügend Zeit, um unsere Netze im Verborgenen zu knüpfen. Die Wirtsleute sind auf unserer Seite. Wenn einer von uns hingeht und eine bestimmte Bestellung aufgibt, bedeutet das für die anderen, dass wir uns am gleichen Abend treffen.«
»Wie komme ich unbemerkt hinein?«
Marsilius musterte ihn, als würde er ihm zum ersten Mal begegnen.
»Hm, du könntest dich als Reisender ausgeben. Die da unten würden dich vielleicht nicht erkennen, und durch den Bart auch nicht gleich einer von den Hiesigen. Aber mir scheint die Gefahr zu groß, dass du dich provozieren lässt oder einfach so in eine Schlägerei mit den Trunkenbolden
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