Blut und Silber
Schoß legen. All die Jahre seines Ritterlebens hatte er stets als Muster an Beherrschtheit gegolten. Jetzt war es mit seiner Beherrschtheit vorbei.
Elisabeth nahm ihm die Entscheidung ab. Alles, was sie sich an Worten zurechtgelegt hatte, war vergessen. In diesem Augenblick brauchte er keine Worte, sondern den Trost einer Berührung. Sie lief auf ihn zu und griff nach seinen Händen. Seine Finger waren eiskalt, sein Gesicht immer noch reglos, und erst nach einem Augenblick schloss er sie zögernd, mit ungewohnt hölzernen Bewegungen, in seine Arme. Wortlos hielten sie einander fest, bis sie sich vorsichtig aus der Umklammerung lösten.
Sie blickte ihm direkt in die Augen. Und dieser Aufforderung zu sprechen konnte er nicht widerstehen. Er hatte das Gefühl, ihr alles sagen zu können, selbst die Dinge, die er tief in seinem Innersten verschließen wollte.
Sie
würde ihn verstehen – und sie war für ihn in diesem Moment der einzige Mensch auf Erden, vor dem er Schwäche zeigen durfte. Wie schon bei ihrer letzten Begegnung in Prag hatte sie es geschafft, in Windeseile die Mauern niederzureißen, die er um sich errichtet hatte.
»Zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich nicht, was ich tun soll«, gestand er stockend. »Es gab schon so oft ausweglose Situationen, schlimme Niederlagen … Doch ich war immer bereit zu kämpfen, und ich
habe
gekämpft. Selbst als ich ins Exil ging, tat ich es nur, um meine Rückkehr vorzubereiten. Doch jetzt – was soll ich tun?«
Er umklammerte Elisabeths Leib und presste sie an sich. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, während er mit dumpfer Stimme weitersprach.
»Mir ist, als hätte ich den Boden unter den Füßen verloren. Ich kann mich nicht mit Waffen gegen den neuen König stellen. Das würde mich zu einem Verräter machen. Außerdem, gegen sein Heer bliebe mir keinerlei Aussicht auf Erfolg. Doch ins Exil gehe ich nicht noch einmal.«
Elisabeth entgegnete nichts – vorerst. Friedrich brauchte Zeit, um mit seiner maßlosen Enttäuschung über den Wortbruch des Königs fertig zu werden. Als das Schweigen zwischen ihnen zu reißen schien, sagte sie: »Ich habe einen Vorschlag. Deshalb bin ich gekommen.«
Verwundert sah er sie an, dann versteifte er sich.
»Schon wieder Thüringen? Die Aussöhnung mit meinem Vater? Du hast beim letzten Mal gesehen, wozu der Versuch führte. Ich will nicht als Almosen dann und wann regieren dürfen, wenn er gerade keine Lust dazu verspürt.«
Sie ließ ihn nicht ausreden, sondern legte ihm den Finger auf den Mund und schüttelte sanft den Kopf. Dann schenkte sie ihm und sich Wein ein, setzte sich und bedeutete ihm, ihr gegenüber Platz zu nehmen.
»Ich befürchtete schon länger, dass der Habsburger nicht einlenken würde, sondern sich das Arrangement zunutze macht, das sein Vorgänger getroffen hat … Deshalb bat ich meinen Gemahl, mich hierherreisen zu lassen. Er selbst macht besser einen großen Bogen um den neuen König. Er muss ihn nicht noch durch sein Erscheinen daran erinnern, dass er Thüringen vor Jahren für zwölftausend Mark Silber der Krone verpfändet hat. Sollte sich der neue König darauf berufen, wäre die Landgrafschaft auch noch verloren.«
»Ich bewundere deinen Scharfblick. Aber was wäre nun dein Vorschlag?« Friedrich konnte eine gewisse Schärfe aus seinen Worten nicht heraushalten. Zu tief saß die Verbitterung.
»Heirate meine Tochter.«
In sein verblüfftes Schweigen hinein sprach sie hastig weiter und zählte die Gründe auf, die sie ersonnen hatte, um Friedrich einen Ausweg aufzuzeigen – dem Mann, den sie aus tiefstem Herzen verehrte.
»Ihr Hochzeitsgut sind umfangreiche Ländereien, das Erbe ihres Vaters, mit einer Vielzahl zuverlässiger Männer. Im thüringischen Adel wirst du neue Verbündete finden. Und die Chancen stünden gut, dass du dich auf der Wartburg mit deinem Vater aussöhnst. Auch wenn ihn sonst kaum noch etwas kümmert – er … er hat einen Narren an dem Mädchen gefressen und würde alles tun, um ihr einen Gefallen zu erweisen. Übernimm die Regentschaft in Thüringen! Dein Vater hat weder die Kraft noch den Willen dazu. Die wichtigsten seiner Gefolgsleute stehen nach wie vor zu dir und warten nur auf deine Ankunft.«
Er lachte bitter auf. »Ich als Heilsbringer für Thüringen? Dafür opferst du sogar deine Tochter? Allmächtiger, sie kann kaum mehr als zehn Jahre alt sein!«
In Prag hatte er die nach ihrer Mutter benannte junge Elisabeth zum letzten Mal gesehen, ein
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