Blut und Silber
gehörten.«
Markus! Änne zuckte zusammen, als Meister Conrad so beiläufig von dem Mann sprach, den sie aus ihrem Herzen und ihren Gedanken nicht verbannen konnte. Prompt stach sie sich mit der Nadel und ließ den Beinling, den sie gerade ausbesserte, sinken, um einen rasch herausquellenden Blutstropfen von der Fingerkuppe zu saugen. Dabei fühlte sie Marsilius’ argwöhnischen Blick auf sich, nahm die Flickarbeit hastig wieder auf und beugte sich darüber.
Also lebte Markus noch! All die Jahre hatte sie immer wieder an ihre letzte Begegnung denken müssen, als er Gefangener auf Freiheitsstein war und sie ihm unter Todesgefahr die klaffenden Wunden genäht hatte. Eine sanfte Berührung mit den Fingerspitzen war damals die einzige Möglichkeit gewesen, ihn unter den Augen der königlichen Burgbesatzung ihre Liebe spüren zu lassen. Lange hatte sie nicht gewusst, ob er die Flucht aus Freiberg überlebt hatte, und war immer tiefer in Verzweiflung geraten, während sein Kind in ihrem Leib heranwuchs. Bis irgendwann die Magd des Haberbergers an den Brotbänken darüber tratschte, dass der Hauptmann der Wache, dieser Maltitz und sogar der leibhaftige Markgraf bei ihrem Herrn aufgetaucht seien.
Doch seitdem waren schon wieder acht Jahre verstrichen – eine lange Zeit für jemanden, dessen Broterwerb der Kampf war. Immer wieder hatte sie sich bekümmert gefragt, ob er vielleicht nicht längst gefallen und begraben war.
Also lebte er noch. Sie war erleichtert und zu Tode besorgt zugleich. Denn allem Anschein nach ritt er nun in einen Krieg, in dem es kein Entrinnen gab. Am liebsten wäre sie hinausgerannt, um sich die Augen aus dem Kopf zu weinen und für sein Leben zu beten.
»Wir sollten in unsere Gebete auch diese Stadt einschließen«, meinte währenddessen der Waffenschmied und trank seinen Becher in einem Zug leer, bevor er weitersprach. »Nun können wir nur hoffen, dass der neue Vogt wirklich solch ein Ausbund an Güte und Freundlichkeit ist, wie das Weibsvolk vorhin jubelte.«
»Er ist durch und durch böse«, entfuhr es Änne.
Als die Männer sie verwundert anblickten, atmete sie tief ein und versuchte, den Schauder abzuschütteln, den der Anblick jenes Mannes bei ihr hinterlassen hatte. Dann begriff sie, dass sie den anderen wohl eine ausführlichere Erklärung schuldete.
»Er hat etwas an sich, das mir Angst macht …«, versuchte sie ihr Gefühl in Worte zu fassen, ohne in dieser Runde von Eingebungen zu sprechen und dafür gescholten zu werden.
»Etwas in seinen Augen …«
»Ich stimme ihr zu«, meinte zu aller Überraschung Pater Clemens. Der Geistliche, der inzwischen älter wirkte, als er war, bekreuzigte sich. »Ich bin – unserem Herrn sei Dank – noch keinem Dämon begegnet. Aber dieser neue Vogt ist von einem … Schatten umgeben, der mir unheimlich ist.«
Wie aufs Stichwort klopfte es von draußen heftig an die Tür. Jemand rief: »Der Medicus soll auf die Burg kommen, auf der Stelle!« Sofort richteten sich alle Blicke besorgt auf Conrad Marsilius. Der Arzt stand auf, ohne sich etwas von seinen Gefühlen anmerken zu lassen. Ruhig griff er nach dem Kasten mit seinen Instrumenten und sah zu den drei Männern am Tisch. »Ich wäre euch dankbar, wenn ihr so lange hierbliebet und meiner Frau Gesellschaft leistet.«
Dann ging er hinaus.
Als der Arzt zurückkehrte, saßen alle noch wie bei seinem Aufbruch in der Kammer, als wäre inzwischen keine Zeit verstrichen: die Männer mit besorgten Mienen am Tisch, Änne auf der Fensterbank über eine Näharbeit gebeugt. Nun starrte sie ihn an, kreidebleich.
»Ihr habt recht, er ist ein Teufel in Menschengestalt«, sagte Marsilius mit brüchiger Stimme und stellte seinen Kasten achtlos ab. Er ließ sich auf die Bank fallen und rieb sich mit den Händen müde über das Gesicht. Schleppend, immer noch nach Worten suchend, berichtete er von dem Grauenvollen, was er gerade auf der Burg erlebt hatte.
»Ich bin dorthin gerufen worden, um den Bader zu retten. Den alten Hinrich, der gleich vorn im Badergässchen seine Stube hat. Weil er den neuen Vogt beim Rasieren geschnitten hat, ließ der ihm die Hand abschlagen, sofort und ohne Gerichtsprozess. Dabei war es nur ein winziger Kratzer! Als ich ankam, um mich um den Stumpf zu kümmern, war es schon zu spät. Hinrich ist mir unter den Händen verblutet. Und noch während ich dort war, ließ dieser Teufel eine der Mägde – ein blutjunges Ding – wegen einer Lappalie fast zu Tode peitschen.
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