Blut und Silber
Komplizen befragen«, hörte Änne den Grafen sagen, während sie mit zittrigen Beinen die steilen Stufen hinaufstieg. »Wenn du danach noch lebst, kannst du dir ausmalen, was ich mit deinem Weib anstelle. Das soll deine größte Qual und Strafe sein, alter Mann: zu wissen, dass sie mich freiwillig zwischen ihre Schenkel lässt und um mehr flehen wird.«
Vertrieben und verstoßen
W as hast du getan, Weib?«, schrie Conrad Marsilius unter dem Galgen hasserfüllt zu Änne, während ihm der Henkersknecht die Schlinge abnahm.
»Was hast du getan?! Ich verfluche und verstoße dich!«
Von einem Moment zum anderen bildete sich trotz des Gedränges ein Halbkreis um die Frau des Medicus. Erschrocken rückten die Menschen von ihr ab, als könnte der Fluch des alten Arztes versehentlich sie gleichfalls treffen. Clementia hinter ihr wurde ungewöhnlich still. Dann begann sie in aller Eile, das Ave-Maria herunterzuhaspeln. Änne stand starr und steif da. Marsilius hatte sie verflucht. Der Alptraum ihrer Kindheit war zurückgekehrt.
Mit einem Mal fühlte sie sich wieder so hilflos und schlecht wie damals im Haus ihres Vormunds. Jenzin hatte es ihr Tag für Tag vorgehalten: Sie stammte aus einem verfluchten Geschlecht. Und nun hatte sie selbst einen Fluch auf sich geladen, der umso stärker wirken musste, da er von einem Menschen kam, den sie hatte retten wollen.
In die Stille hinein rief der Vogt: »Der Begnadigte soll gefälligst etwas mehr Dankbarkeit zeigen, sonst lasse ich ihn doch noch hängen!«
Marsilius erhielt einen Stoß in den Rücken, der ihn unsanft die Leiter hinab und auf die Knie beförderte.
»So ist es recht!«
Zufrieden verkündete Graf Reinold laut über die Menge auf dem Marktplatz hinweg: »Statt durch den Strang vom Leben zum Tode befördert zu werden, soll der Verräter Conrad Marsilius mit Ruten gestrichen und danach auf Lebenszeit aus der Stadt verbannt werden. So ist es mein Wunsch und Befehl. Sollte er sich jemals wieder innerhalb der Bannmeile blicken lassen, gilt er als vogelfrei. Wer ihm hilft, den erwartet die gleiche Strafe.«
Ordulf zerrte dem Medicus die zerrissene Kotte nun ganz vom Leib. Nur noch mit der Bruche bekleidet, wurde der weißhaarige Arzt an einen Balken gebunden – und zwar so, dass er direkt auf seine beiden toten Freunde sah, mit denen er noch am Abend zuvor an einem Tisch gesessen hatte.
»Vierzig Hiebe!«, befahl der Vogt unter dem Johlen der Menge.
Heilige Mutter Gottes, erbarme dich! Sie schlagen ihn tot! Das war alles, was Änne noch denken konnte. Wortlos musste sie zusehen, wie der Mann gedemütigt und geschunden wurde, der ihr einst das Leben gerettet und ein Zuhause geboten hatte. Sie sank auf die Knie und schlug die Hände vors Gesicht. Den Blick des Vogtes fühlte sie wie Feuer auf ihrer Haut brennen, glaubte, seinen aufdringlichen Geruch immer noch an sich kleben zu haben wie Pech und Schwefel.
»… vierzehn … fünfzehn … sechzehn …« Die Menge zählte längst mit, mancher aus Schadenfreude, andere voller Bangen, ob der alte Meister Conrad das überleben würde. Die Musikanten begleiteten jeden Hieb mit schrillen Pfeifentönen. Ein Mann rechts neben ihr hievte sich ein Kind auf die Schulter, damit es auch alles sehen konnte.
»… neununddreißig … vierzig!«
War Marsilius tot?
Reglos hing er in den Stricken und stürzte zu Boden, als Ordulf die Fesseln löste. Jemand schickte einen Knecht los, der einen Bottich am Brunnen füllte und das kalte Wasser über den Geschundenen goss. Marsilius zuckte. Das genügte als Lebenszeichen, er wurde wieder auf die Beine gestellt. Je ein Bewaffneter griff ihm links und rechts unter die Arme und zerrte ihn die Stufen des Podestes hinab. Die Menge teilte sich vor ihnen, und die beiden Männer schleiften den Halbtoten über den Markt, Richtung Erlwinsche Gasse, zum Tor.
»Ja, jagt ihn fort!«, brüllte jemand neben Änne. »Er hat schon immer zu denen gehört, die sich dem König widersetzen! Er ist schuld am Blutbad in Freiberg!«
»Genau! Jagt ihn fort!«, stimmte ein anderer ein. »Und seine Hure gleich mit!«
Abwehrend legte Änne die Arme um den Kopf, doch sonst rührte sie sich nicht. Sollen sie mich doch totschlagen, am besten gleich, dachte sie dumpf.
Wie sollte sie jetzt noch leben – hier und mit der Schuld, die sie auf sich geladen hatte? Wie sollte sie leben mit dem Wissen, dass ihr Mann halbtot fortgeschleift wurde und trotzdem ihre Hilfe nicht wollte? Er hatte sie verflucht und würde
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