Blut und Silber
Schwellungen und blutigen Wunden in seinem Gesicht. Die Frau des einstigen Bürgermeisters sprang auf vor Schreck und Überraschung und stieß dabei beinahe die Bank um. Der grau und mager gewordene Nikol folgte ihr und stürzte ihm entgegen, voll Freude und Sorge zugleich.
Conrad wehrte mit zittrigen Händen ab, als ihn der alte Freund aus vergangenen Tagen umarmen wollte.
»Ich … bin verletzt …«, sagte er und stützte sich gegen einen Balken, um vor Erschöpfung nicht umzufallen. »Ich brauche eure Hilfe.«
Fassungslos folgten Nikol, Katharina, ihr Bruder und dessen Familie den Worten von Marsilius, als dieser berichtete, wie die Dinge derzeit in Freiberg standen und was ihm widerfahren war.
Währenddessen wurde dem Neuankömmling aufgetafelt. Er konnte sich stärken und trank reichlich vom kräftig gebrauten Bier, um seine Schmerzen und seine Erinnerungen zu betäuben.
Dann nahm sich Katharina seiner Verletzungen an. Ohne auf Conrads Protest und seine Einwände hinsichtlich der Schicklichkeit zu achten, zog sie ihn vorsichtig aus, weichte die verkrusteten Verbände ab, besah wortlos Brandwunden, Striemen und die dunklen Blutergüsse.
»Ihr seid der Arzt, Conrad. Sagt mir, was zu tun ist«, bat sie schließlich. Sie hatte in der Familie schon oft Kranke zu pflegen gehabt, aber das Ausmaß dessen, was sie hier sah, ließ sie zögern.
Es dauerte bis tief in die Nacht, bis alle Wunden versorgt waren und alles erzählt war – alles bis auf eines. Auf die freundlich gemeinte und besorgte Frage nach Änne reagierte der Arzt so abweisend, dass Nikol und seine Frau begriffen, dies war ein heikler Punkt, über den er kein Wort verlieren würde. Also ließen sie das Thema fallen.
Katharina nötigte Marsilius einen weiteren Becher Bier auf in der Hoffnung, dass dies ihm wenigstens etwas Schlaf verschaffen würde.
Als sie und ihr Mann endlich zu Bett gingen, konnte sie trotz des anstrengenden Tages nicht schlafen. Zu viele aufwühlende Erinnerungen und Bilder wirbelten durch ihren Kopf.
Irgendwann kurz vor Tagesanbruch hörte sie ein Geräusch im Haus, eine leise Stimme. Sprach Marsilius im Fieber? In Sorge um den Kranken stand sie leise auf, warf sich ein Tuch um die Schultern und ging in die Richtung, aus der das Gemurmel kam.
Sie hatte richtig vermutet, es war Marsilius. Doch er sprach nicht im Fieber. Er kniete vor dem Hausaltar, hatte eine Kerze entzündet und betete. Durch den Türspalt konnte sie im flackernden Licht sehen, wie er in qualvoller Haltung die gefalteten Hände hob, obwohl ihm diese Bewegung große Schmerzen bereiten musste.
Weil sie nicht wagte, zurückzugehen und sich dabei durch ein Geräusch zu verraten, blieb ihr nichts anderes übrig, als den gramerfüllten Worten des Freundes zu lauschen.
»Himmlischer Vater, steh mir bei! Ich bereue. Ich habe unermessliche Schuld auf mich geladen. So große Schuld, dass ich sie nicht mehr tilgen und mir nicht vergeben kann, selbst wenn Du mir vergeben solltest.
Ich
trage die Mitschuld an dem Krieg, der nun tobt. In meiner Vermessenheit habe ich geglaubt, mich dem früheren König widersetzen zu können. Hätte ich die Ratsherren nicht aufgewiegelt, wäre Freiberg vielleicht ein Blutbad erspart geblieben.
So habe ich die Schuld am Tod vieler Menschen auf mich geladen. An meinen Händen klebt Blut. Doch in meiner Verblendung beharrte ich und widersetzte mich auch dem nächsten König, den Du der Krone als würdig empfandest. Dafür hat mich nun die Strafe ereilt, die Strafe für meinen Hochmut und meine Anmaßung, Deinen Willen in Frage zu stellen. Aber selbst das heilte meinen Starrsinn nicht, und ich habe eine weitere unerlässliche Sünde auf mich geladen …«
Marsilius stöhnte qualvoll auf. Katharina war drauf und dran, in die Kammer zu stürzen und ihn aufzufangen, sollte er zusammenbrechen. Dann begriff sie, dass er vor Verzweiflung stöhnte, nicht wegen der schmerzenden Wunden.
»Allmächtiger Vater im Himmel, großes Leid habe ich Deiner Tochter Änne zugefügt. Und ich bin immer noch voll ungerechten Zorns auf sie, obwohl ich weiß, dass sie Schlimmes auf sich genommen hat, um mein Leben zu retten. Aus Eigensinn habe ich sie dem Mann weggenommen, der sie heiraten wollte. Zur Buße schwieg ich, als sie sein Kind trug, und nahm es als meines an. Doch ich konnte die Vorstellung nie bezwingen … dass sie glücklich in seinen Armen gelegen hat … so glücklich, wie ich sie nie machen konnte. Nie hat sie mich in all den Jahren so
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