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Blut und Silber

Blut und Silber

Titel: Blut und Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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möglich zwischen den unablässig heranströmenden Neuankömmlingen hindurch den Weg zu Sibylla zu bahnen.
    Doch er war kaum drei Schritte weit gekommen, als ihn jemand am Ärmel zupfte. Ungeduldig fuhr er herum – und sah erneut der Alten direkt in die von unzähligen Fältchen umgebenen, tief eingesunkenen Augen.
    »Nicht vergessen!«, mahnte sie und sang erneut die letzten beiden Zeilen ihres merkwürdigen Liedes:
    »Doch wer der neue König ist,
    ganz plötzlich dann sein Wort vergisst …«
    Ehe Ulrich weitergehen konnte, raunte sie: »Hütet Euch vor dem Einäugigen!«
    Für einen Moment starrte er sprachlos auf die Alte.
    Wie konnte sie etwas von den Plänen des Habsburgers wissen? Und was war das für eine Verschwörung, wenn schon die Spatzen von den Dächern ein Lied darüber pfiffen?
    Doch dann ärgerte er sich über sich selbst, dass er sich von einer Schwindlerin ins Bockshorn jagen ließ. Ja, die Einäugigen und die Rothaarigen – das waren bei den Leuten immer die beliebtesten Schurken!
    Ungehalten, weil er auf solchen Aberglauben hereingefallen war, wandte er sich ab, um sich weiter zu Sibylla durchzuzwängen. Doch es gelang ihm nicht, das unheimliche Gefühl abzuschütteln. Hastig drehte er sich noch einmal nach der Alten um. Aber sie war verschwunden – so, als hätte es sie nie gegeben.
    Ein paar Schritte weiter hatte er sie vergessen. Denn nun stand vor ihm die Frau, nach der er sich so verzweifelt sehnte. Und
sie
war alles andere als ein Trugbild.
     
    »Sibylla!«
    Sie drehte sich um, als sie ihren Namen hörte. Als sie erkannte, wer ihn gerufen hatte, erstarrte sie für einen Augenblick und ließ die Hände sinken, die eben noch den Schellenkranz geschlagen hatten. Über ihr Gesicht zuckte Freude, doch nur für einen Moment. Dann verschloss sie ihre Züge und kniete höflich vor Ulrich nieder. »Edler Herr!«
    Am liebsten hätte er sie auf der Stelle in seine Arme gerissen und geküsst. Aber ganz abgesehen davon, dass von einem Ritter mehr Beherrschung erwartet wurde, wusste er, dass er sie damit in Schwierigkeiten bringen würde. Die anderen Männer auf dem Burghof würden sie sofort für eine Hure halten, sofern sie es nicht längst taten, und von ihr Gleiches und mehr verlangen. Also beschränkte er sich darauf, sie an den Armen zu nehmen und hochzuziehen.
    »Ich hatte so sehr gehofft, dich hier zu sehen!«, sagte er. Seine Stimme war auf einmal ohne jegliche Härte und Bitterkeit; Freude und Sehnsucht klangen aus seinen Worten.
    Sibylla senkte die Lider und schwieg.
    Aber er ließ sich nicht täuschen; er hatte gesehen, wie einen Moment lang glückliches Erkennen über ihr Gesicht gehuscht war, bis sie sich wieder so gab, wie es von einer unehrlich Geborenen gegenüber einem Ritter erwartet wurde.
    »Komm heute Nacht zu mir, ich bitte dich!«, raunte er, damit niemand sonst ihn verstehen konnte.
    »Wir sollen am Abend vor König Wenzel auftreten«, sagte sie stockend und wies mit dem Kopf auf ihre Gefährten. »Sie werden nicht erlauben, dass ich gehe, weil sie sonst weniger verdienen.«
    Rasch zog er einen Ring vom Finger, den einzigen Schmuck, den er trug, ein Geschenk von Herzog Heinrich.
    »Gib ihnen das! So viel werden sie sicher nicht einbüßen, wenn sie ohne dich aufspielen.«
    Sibylla nahm den Ring nicht, sondern starrte nur darauf und nagte an ihrer Unterlippe. Mit diesem Ring würde sie sich wohl heute Abend freikaufen können von dem Auftritt und ihrem Anführer, der zum Lohn für seinen Schutz von den Frauen der Gauklertruppe verlangte, dass sie das Lager mit ihm teilten, wenn er es forderte.
    Sie fühlte sich hin- und hergerissen. Auch sie hatte Ulrich vermisst und oft an ihn denken müssen. Aber sie sollte ihn vergessen – ihn und seinen Lehnsherrn.
    Denn Friedrichs Blicke waren es, die sie dazu getrieben hatten, Ulrich zu verlassen. Sie konnte spüren, wie sein Interesse an ihr erwachte, wie sich seine Augen zunehmend begehrlich auf sie richteten. Und früher oder später hätte der einstige Markgraf wohl erwartet, dass sie in sein Bett kam. Der Wettiner war ein beeindruckender Mann mit starker Persönlichkeit, und sie fühlte sich auch ihm durch den gemeinsamen Hass auf König Adolf verbunden. Es war weniger Widerwillen gegen Friedrich als der Wunsch, Ulrichs Loyalität gegenüber seinem Lehnsherrn nicht zu gefährden, der sie zur Flucht getrieben hatte.
    Der Geliebte – ja, endlich gestand sie es sich ein, sie liebte Ulrich! – hatte das Begehren des anderen

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