Blut und Sünde
dann musste sie ihm auch im Aussehen gefolgt sein.
Ja, da war etwas. Noch nicht groß, aber bei zwei Zähnen spürte sie die Veränderung. Sie waren dabei, zu wachsen, und sie würden im Laufe der Zeit immer länger und spitzer werden, bis sie perfekt für den Vampirbiss waren.
Für das Opfer. Für das Blut. Für den Saft des Lebens, der für ihre weitere Existenz sorgen würden.
Sie schloss die Augen. Sie war zufrieden. Auch wenn die Dunkelheit bald weichen und dem neuen Tag Platz schaffen würde. Sie würde auch ihn annehmen, sie würde überleben, aber sie würde auf den nächsten Abend und die nächste Nacht warten. Genau das war ihre Zeit, dann erhielt sie Gelegenheit, ihren Blutdurst zu stillen. Bis dahin musste und würde sie sich noch gedulden müssen…
***
Osmin Gormans Mutter stammte aus Arabien. Von ihr hatte er die dunkle Haut und auch die Farbe der Augen. Sein Vater war ein blonder Deutscher gewesen, der in Arabien von seiner Firma aus gearbeitet hatte. Von ihm stammten vielleicht die braunen Haare ab, die Osmin Gorman lang trug, sie manchmal im Nacken zusammenband, sie aber ansonsten frei wellen ließ.
Er sah gut aus, denn vom Typ her passte er in die Kategorie Latin Lover, deren Anblick ja bei manchen Frauen prickelnde Hochgefühle verursachte.
Er wusste das, aber er nutzte es nicht im besonderen Maße aus, denn Osmin frönte eigentlich nur einer Leidenschaft, dem Theater. Außerdem war er seit drei Jahren mit Katharina verheiratet, und die war es gewohnt, ein Auge auf ihn zu halten, weil sie wusste, wie groß die Versuchungen gerade in dieser Branche waren.
Katharina und Osmin waren die Chefs der kleinen Theatertruppe. Sie hatten sie aufgebaut, sie waren unheimlich engagiert und setzten sich mit allem ein, was sie hatten. Sie wollten groß herauskommen.
Den ersten Schritt dieses langen und beschwerlichen Wegs hatten sie geschafft. Sie hatten ein kleines Theater gefunden, in dem sie ihr Stück aufführen konnten, und sie wussten schon jetzt, dass In The Darkness ein Erfolg werden würde. Das stand für sie einfach fest, denn es hatte sich durch Mundpropaganda und auch durch eine gezielte Werbeaktion über Plakate herumgesprochen, dass an diesem Abend ein besonderes Stück aufgeführt wurde.
Das Theater war ausverkauft. Zwar war es die Premiere und nicht die letzte Vorstellung, aber die Zeichen standen günstig. Osmin Gorman rechnete damit, dass es sich herumsprechen würde, wie gut sie waren, und später würde auch ein Direktor der großen Bühnen aufmerksam werden und ihnen sein Theater zur Verfügung stellen.
Es waren Aussichten, die eine Zukunft eigentlich rosig hätten aussehen lassen können, auch wenn sie noch in weiter Ferne lag. Dass sich Gormans Laune nicht an der Grenze zum Höhepunkt bewegte, lag erstens am miesen Wetter und zweitens am Londoner Autoverkehr. In den Straßen hatte sich wieder alles zusammengeballt, was auf vier Rädern lief, und so kam er nur im Schritttempo voran, wenn er mal wieder einen Stau an einer Ampelphase überwunden hatte.
Es war schon früher Mittag. Er hatte versprochen, Florence Turner abzuholen, die kein eigenes Fahrzeug besaß. Schon mehrmals hatte er ihren Wohnort verflucht, der außerhalb von London lag. In einem Gebiet, in dem man früher Kohle gefördert hatte, was allerdings lange zurücklag. Von den Zechen gab es nur noch Fragmente, und die alten Häuser sahen ebenfalls ziemlich mies aus. Nicht alle Wohnungen waren belegt. Wer dort lebte, konnte sich ausrechnen, dass er die nächsten beiden Jahre raus musste, weil das Gebiet saniert werden sollte.
Es regnete nicht mehr so stark. Aus den tiefen Wolken fiel mehr Niesel. Kleine Tropfen, die auf der Windschutzscheibe schmierten und von den Wischern weggefegt wurden.
Um sich abzulenken, hatte Gorman eine Kassette des eigenen Grusicals eingelegt. So hörte er noch einmal den Text, lauschte den Melodien und war recht zufrieden. Als die Kassette abgespult war, hatte er sein Ziel auch erreicht. Zumindest die Gegend, in der Florence Turner wohnte. Ein düsteres Gebiet mit Backsteinhäusern, die recht verfallen aussahen.
Der Nissan rollte an der linken Straßenseite entlang. Er bewegte sich über holpriges Pflaster hinweg, fuhr auch hinein in Schlaglöcher, um die sich niemand kümmerte, aber das machte ihm nichts aus.
Gorman war froh, endlich anhalten zu können.
Er schaute auf die Uhr und ärgerte sich, dass er sich fast um eine Stunde verspätet hatte. Er hoffte, dass der Rückweg besser
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