Blut und Sünde
ich noch nie erlebt.«
»Ach, vergiss es.«
»Nein, nicht.« Osmin war jetzt stur. Er beobachtete Florence prüfend und interessierte sich besonders für ihr Gesicht. »Ich will dich ja nicht kritisieren, aber du siehst meiner Ansicht nach nicht gut, sondern schon regelrecht krank aus.«
Sie hob die Schultern und zog ihren Mantel fester um den Körper.
»Bist du krank, Florence?«
»Tja, ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Ich… ähm… fühle mich nicht besonders, das stimmt schon. Weiß auch nicht, woher es kommt. Es ist aber so.«
»Kind, mach keinen Mist. Wir brauchen dich in der nächsten Zeit, und wir brauchen dich in Topform.«
Sie nickte. »Ja, ja, das weiß ich alles. Ich… ich… werde mich auch bemühen, aber denke nur an das verdammte Wetter. Da ist man ja nicht gesund, wenn man nicht angegrippt ist.«
Das stimmte. Und doch hatte Osmin Gorman seine Zweifel. Er fand Florence und ihr Verhalten rätselhaft. Sie hatte sich völlig verändert und wirkte dabei wie auf den Kopf gestellt. Nichts mehr war von ihrem Temperament geblieben. Sie war so ruhig, schon abweisend geworden. Osmin kam sie vor wie eine andere Person. So fremd. Er wollte weitersprechen und fand nicht die richtigen Worte.
Das melodische Klingeln des Handys befreite ihn aus der Zwickmühle. Der flache Apparat steckte in der Innentasche seiner Jacke. Mit einem sicheren Griff holte er ihn hervor und meldete sich.
Katharinas Stimme klang gehetzt und leicht ungeduldig. »Wo bist du jetzt?«
»Bei Florence.«
»Was?« rief sie laut. »Du bist noch nicht auf dem Rückweg? Verdammt, das ist doch Bockmist! Denk daran, dass wir noch eine Szene proben müssen und…«
»Weiß ich, Kathy. Das weiß ich alles. Nur kann ich nicht gegen den Verkehr ankämpfen, sorry. Der ist dicht wie selten. Ich bin einige Male steckengeblieben und auch erst vor ein paar Minuten hier eingetroffen.«
»Wann fahrt ihr denn los?«
»Wir waren so gut wie auf dem Weg.«
»Okay, dann seht zu, dass ihr besser durchkommt.«
»Wir werden alles versuchen. Bis gleich.«
Osmin wollte mit Florence sprechen, sie aber war nicht mehr am Sessel. Sie stand bereits an der Tür und wirkte dort trotz ihres dicken Mantels, der bis zu den Waden reichte, leicht verloren. Sie hielt die Augen offen, ihr Blick wirkte verträumt und war ins Leere, aber in ihr Inneres gerichtet. So genau wusste Osmin das auch nicht.
»Hast du was?«
»Ich möchte gehen!« flüsterte sie und drehte ihr Gesicht zur Seite, als er sie anschauen wollte.
Sehr dicht ging Osmin Gorman an ihr vorbei, und wiederum wunderte er sich darüber, dass sie nicht atmete oder er zumindest nichts hörte. Jemand, der erkältet war oder unter einem Grippevirus litt, der atmete normalerweise lauter.
Er wollte sie danach fragen, doch Florence kam ihm zuvor.
»Darf ich dich um etwas bitten, Osmin?«
»Klar, immer. Das weißt du doch.«
»Mir geht es um die Zeit vor dem Auftritt. Ich weiß, dass jeder von uns in der Garderobe sitzt und darauf wartet, geschminkt zu werden. Das möchte ich heute nicht.«
»Wieso nicht? Willst du ungeschminkt auf die Bühne gehen?«
»Nein, das nicht. Mir geht es nur darum, dass ich mich selbst schminken will. Ich möchte keine andere dabei haben, verstehst du?«
»Nicht direkt«, gab er lachend zu. »Aber wenn du willst, ist das schon okay. Dann hat Marsha mehr Zeit für die anderen. Sie wird sich freuen. Und ich freue mich, wenn wir jetzt von hier verschwinden und endlich losfahren können.«
»Ich habe nichts dagegen.« Florence betrat als erste den Flur, und Osmin wunderte sich laut darüber, dass sie die Tür nicht abschloss. Von der Treppe her winkte die blonde Frau ab. »Das ist nicht nötig, wirklich nicht. Hier stiehlt niemand etwas, das kannst du mir glauben. Es ist alles okay so.«
»Ach ja, die Tür war offen, als ich kam.«
»Eben.«
Nebeneinander gingen sie nach unten. Osmin folgte Florence, die recht staksig die Stufen hinabschritt und sich dabei gegen das Geländer drückte. Den Kopf hielt sie gesenkt. Zudem hatte sie auch den Oberkörper nach vorn gebeugt und wirkte in ihrer Haltung wie jemand, der eine schwere Last zu tragen hat.
Osmin Gorman sagte nichts, machte sich allerdings seine Gedanken und hoffte für sich und alle anderen Mitwirkenden des Stücks, dass Florence am Abend wieder fit war.
Vor der Haustür blieb sie leicht schwankend stehen. Sie schaute zum grauen Himmel und zog ihre Schultern wieder hoch. Es ließ darauf schließen, dass sie noch
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