Blut und Sünde
öffnete die erst, als nur noch ein kleiner Spalt zwischen den beiden Teilen bestand.
Osmin konnte noch in das Gesicht der Kollegin sehen. Und er sah die Zähne!
Spitz ragten sie aus dem Oberkiefer. Es war ein Anblick, der ihn schockte. So etwas stand nicht auf dem Programm. Florence war eine Leiche, die zum Leben erweckt wurde, aber keine Blutsaugerin, ein weiblicher Vampir also.
»Los, schließ den Sarg!« zischelte Katharina. »Wir müssen noch die Dochte anzünden.«
»Ja, sofort.« Der schwere Gegenstand wäre Osmin fast aus den Händen gerutscht. Soeben fasste er nach, dann presste er den Deckel auf das Unterteil und richtete sich auf.
Seine Frau sah ihm an, dass etwas nicht mit ihm stimmte. »He, was hast du denn jetzt?«
»Was denn?«
»Du siehst so bleich aus.«
»Ach, nichts. Der Deckel war wohl etwas schwer.«
Katharina schaute ihn an wie jemand, der kein Wort von seiner Antwort glaubte. Osmin ließ sie stehen. Er holte die langen Zündhölzer aus der Tasche und begann, die Dochte anzuzünden. Er.
Konnte nicht vermeiden, dass seine Hände dabei zitterten…
***
Das Grusical lief!
Und es war spannend, das musste auch ich zugeben. Man hatte eine einfache Geschichte gebastelt, sie mit Gesang, Musik und tänzerischen Einlagen bestückt, aber auch der Grusel war nicht zu kurz gekommen. Die Kostüme der Schauspieler waren schon etwas Besonderes, und sie kamen durch das Wechselspiel von Licht und Schatten noch besser zur Geltung. Die große Schau zog die Hexe ab, die in einem Kleid aus rotem Latex steckte. Auf diesem Material fingen sich oft genug die Lichtfunken, und auch der Widerschein der Kerzen malte sich dort ab. So sah das Kleid bei ihren Bewegungen manchmal aus, als bestünde es aus Wasser.
Sie tanzten, sie sangen und sie sorgten dabei für eine Fortsetzung der Story, in der es um Liebe und Eifersucht ging. Besonders um eine betrogene Frau, die sich hinterher als Hexe herausstellte und sich an ihrem Mann rächen wollte.
Sie war in der Lage, die von ihr getötete Geliebte des Mannes zu erwecken, und sie hatte ihn deshalb in ein altes Gewölbe gelockt, in dem der Sarg mit der Geliebten stand. Zwei Mönche bewachten den gefesselten Ehegatten, der vergeblich versuchte, sich zu verteidigen.
Lady Sarah stieß mich an. »Das ist sogar hochaktuell«, flüsterte sie mir zu.
»Was meinst du damit?«
»Denk an Clinton und die Lewinsky.«
Ich winkte ab. »Das gab es schon zu allen Zeiten und wird es auch immer geben, solange die Menschen auf dieser Welt herumlaufen.«
»Stimmt auch wieder.«
Die Hexe war wütend. Sie tobte über die Bühne, begleitet von den beiden halbnackten Tänzerinnen mit ihren dunklen, kurzgeschnittenen Haaren. Die Tänzerinnen bewegten ihre Lippen und taten so, als würden sie die Refrains singen.
Es war das Lied der Rache. Das Lied des Todes. Der Song einer hasserfüllten Frau, die plötzlich eine Peitsche in der Hand hielt und damit auf den Boden und später auf den Sarg schlug. Während dieser Zeit musste ihr Gatte zuschauen. Er trug zwar noch seinen Degen, doch die beiden Mönche hatten ihn gefesselt und bewachten ihn außerdem.
Die Show lief gut. Um uns herum war es merklich stiller geworden. Es gab wohl keinen Zuschauer, der sich nicht von den Ereignissen auf der Bühne einfangen ließ.
Hin und wieder verließ das Licht die Bühne und rotierte über unsere Köpfe hinweg. Es strahlte auch uns an und ließ die Gesichter der Menschen wie blasse Totenfratzen wirken.
Der Soloauftritt der Hexe endete in einem furiosen Finale. Sie schrie dem untreuen Gatten ihre Racheschwüre entgegen und erklärte ihm, dass er es bald noch einmal mit seiner Geliebten treiben konnte. Schluß mit der Musik.
Nur die Stimme der Hexe war zu hören. Sie klang böse, sehr böse sogar, während sie ihren Mann umtänzelte. »Ich werde dafür sorgen, dass sie zurückkehrt. Sie wird das Reich der Toten verlassen und zu dir als lebende Leiche kommen. Dann kannst du mit ihr deinen Spaß haben. Weißt du denn überhaupt, wie diese Zombies reagieren und was sie eigentlich von den Menschen wollen?«
»Hör auf!« schrie der Gefesselte und wand sich, aber die Mönche griffen zu und hielten ihn fest.
»Sie wollen Fleisch - Fleisch!« schrie die Hexe und streckte ihre Arme aus. Dabei spreizte sie die Finger und schloss sie in einem bestimmten Takt wieder zu Fäusten zusammen, bevor sie sie abermals streckte.
»Dein Fleisch wird sie sich holen! Sie ist eine Kannibalin wie alle Zombies. Sie wird dich
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