Blut vergisst nicht: 13. Fall mit Tempe Brennan
wollen. Katy war überrascht, und erfreut. Und so entspannt, wie ich sie seit Coops Tod nicht gesehen hatte.
Ryan war der Nächste. Trotz des fröhlichen Klingeltons kamen seine Nachrichten vom anderen Ende des Stimmungsspektrums. Ernst berichtete er mir später, als wir alleine in der Küche waren.
Lutetia verließ Montreal und kehrte in ihr Haus in Nova Scotia zurück. Bis auf Weiteres würde Ryan für Lily verantwortlich sein. Bye-bye. Adiôs.
Meine Reaktion war gemischt. Ich wusste zwar, dass Lutetias Abreise Lily verletzen und Ryan unglaubliche Scherereien machen würde, konnte aber nicht behaupten, dass es mich traurig machte, Ryans Ex Adieu zu sagen. Natürlich nur bildlich gemeint. Wir beide hatten noch nie miteinander gesprochen.
Meine erste Anruferin war Hadley Perry. Sie sagte mir drei Dinge.
Erstens, bei den Familien der Vermissten hatte sie keinen Erfolg gehabt. Zweitens, die Detectives des Honolulu Police Department Lang und Ding würden gleich morgen früh die Krankenhäuser abklappern. Drittens, wegen ihrer Sperrung der Halona Cove machten Bürgermeister und Stadtrat ihr die Hölle heiß.
Wieder mit gedämpfter Stimme berichtete ich Ryan von Perrys Anruf, diesmal auf der Terrasse.
Ryans Mundwinkel zuckten, als ihm dieselben Gedanken durch den Kopf gingen wie mir zuvor.
»Lang ist aus Vietnam. Ding ist Chinese. Die beiden sind seit neun Jahren Partner und reagieren deshalb nicht mehr auf Witzchen, die man mit ihrem Namen machen könnte.«
Da Perry die übliche Reaktion erwartet hatte, hatte sie jedem Wortspiel, das ich hätte bringen können, den Wind aus den Segeln genommen. Dasselbe machte ich jetzt mit Ryan.
»Ich dachte, du bist wegen eines Kerls hier, der in den Sechzigern starb«, sagte Katy.
Ryan und ich drehten uns überrascht um. Wir hatten beide Katy nicht durch die Schiebetür kommen hören.
»Bin ich. Wegen mehreren Kerlen, um genau zu sein«, sagte ich. »Und die hiesige ME hat mich in einem aktuellen Fall um Rat gebeten. Ich habe angenommen, dass du davon nichts hören willst.« Nach Coops Tod. Das sagte ich nicht.
Katy schaute von mir zu Ryan und wieder zurück. »Natürlich will ich das.«
Ryan stand auf. »Wenn ihr mich entschuldigt, meine Damen, ich habe seit Tagen meine E-Mails nicht angeschaut.« Lahm, aber Ryan spürte, dass Katy sich ausgeschlossen fühlte.
Katy setzte sich in den Clubsessel, den Ryan frei gemacht hatte. Ich erzählte ihr von Hadley Perry, den Leichenteilen, den Bissspuren, dem chirurgischen Nagel und dem Tattoofragment.
»In der Hai Society lebt sich's gefährlich.«
»Wie bitte?«
»Vergiss es. Egal. Meine Bemerkung war blöd. Über Opfer soll man keine Witze machen.« Ich tätschelte ihr die Hand. »Schon gut.«
Einige Augenblicke lauschten wir dem Rascheln der Palmwedel und dem Rauschen sanft brechender Wellen. Katy sagte als Erste wieder etwas.
»Ich habe viel Zeit mit meinem Blog verbracht.«
»Worüber hast du geschrieben?«
»Die Sinnlosigkeit des Kriegs.«
»Klingt, als wär's die Mühe wert.«
»Und ich werde über die Gefühllosigkeit dessen schreiben, was ich eben gesagt habe.« Sie überlegte einen Augenblick. »Darüber, wie wir manchmal aus den Augen verlieren, dass jeder Tod tragisch ist.«
»Ich würde deine Gedanken sehr gerne lesen.«
»Du musst so was sagen.« Sie sprang auf und küsste mich schnell auf die Wange. »Du bist meine Mutter.«
Bevor ich protestieren konnte, lief sie nach drinnen.
Mein zweiter Anrufer war Tim Larabee, der Medical Examiner in Charlotte. In einer Sandgrube neben einer Landstraße im Avery County war eine verweste Leiche gefunden worden. Er war seit Mitternacht am Fundort, vermutete, dass es sich um die Überreste einer Hausfrau handelte, die seit dem vergangenen Herbst vermisst wurde. Ein anthropologisches Gutachten sei erforderlich. Er fragte sich, wann ich zurückkehre, wollte mir allerdings keinen Druck machen.
Happy Days.
Lilys Handy klingelte um halb elf. Ich hatte Stephen King ausgelesen und nahm mir jetzt einen Grisham-Roman vor. Ryan schaute CNN, Katy war in ihrem Zimmer und bloggte oder twitterte oder was immer es war, was sie gesagt hatte.
Lily schaute auf die Anruferkennung, hob ab und ging nach oben.
Ich schaute zu Ryan hinüber, bemerkte die veränderte Kinnpartie, die angespannten Schultern. Wusste Bescheid. Er vermutete, dass Lilys Anruferin Lutetia war, und machte sich auf die Tränen seiner Tochter gefasst.
Eine halbe Stunde später kehrte Lily zurück. Sie war
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