Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
zurecht. Wie immer, wenn ein Besuch bei ihrer Mutter anstand, gefiel sie sich noch weniger als sonst. »Laut ärztlichem Gutachten ist ihr Jochbein angebrochen. Und sie hat eine ganze Reihe von blauen Flecken, überall auf ihrem Körper.«
    »Für die meisten davon ist sie selbst verantwortlich«, entgegnete Ryan mit jenem süffisanten Lächeln, das sie so sehr verabscheute. Doch sie konnte auch sehen, dass er verunsichert war. Mehr noch: Sie konnte seine Verunsicherung förmlich riechen.
    »Was du nicht sagst.«
    »Meine Güte, Ginny«, stöhnte er. »Das Mädchen ist Anfang zwanzig. Sie springt von Klippen, sie geht in jeder freien Minute zum Surfen, und sie ist auch nicht gerade zimperlich im Bett.«
    »Eine Eigenschaft, die dir bestimmt zutiefst missfallen hat«, versetzte Ginny höhnisch.
    Ryan sah sie an, und für einen kurzen Moment glaubte sie, einen Hauch von Schmerz in seinem Blick auszumachen. »Du glaubst Lynn also mehr als mir.«
    Ginny lachte laut auf. »Dazu gehört ja wohl nicht viel.«
    »Findest du?«
    »Ja, finde ich.« Sie rechnete fest damit, dass er jetzt aufbrausen würde. Das tat er immer, wenn er mit dem Rücken zur Wand stand. Aber zu ihrer Überraschung reagierte er eher betroffen. »Ich verstehe«, sagte er leise und wie zu sich selbst.
    »Und was gedenkst du jetzt zu unternehmen?«, fragte sie, als ihr die Stille zu lange dauerte.
    »Unternehmen?« Er schüttelte den Kopf. »In Bezug auf was?«
    Sein Unverständnis brachte sie nur noch mehr auf. »Das Timing für deine Heldentat ist jedenfalls ausgesprochen günstig, falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte«, versetzte sie boshaft.
    Er sagte nichts. Aber allmählich schien ihm zu dämmern, worauf sie hinauswollte.
    »Laura ist zurück, und plötzlich fangen die Leute wieder an, Fragen zu stellen.« Sie schob sich an ihm vorbei und streifte ihr Kleid über, das auf dem Bett bereitlag. »Sie rühren die ganzen alten Geschichten wieder auf, und ich kann mir – ehrlich gesagt – nicht vorstellen, dass es unter diesen Umständen einen guten Eindruck macht, wenn du einer Angestellten in einem Ausbruch unkontrollierter Gewalt das Gesicht zu Brei schlägst.«
    »Du übertreibst«, widersprach er müde, und die Sparsamkeit seiner Reaktion irritierte Ginny zutiefst.
    Etwas war anders heute. Grundlegend anders. Undsie hatte nicht die geringste Ahnung, ob die Veränderung an ihm oder an ihr lag. Bislang waren ihre Auseinandersetzungen alle mehr oder weniger gleich verlaufen. Mit nimmermüder Penetranz überschütteten sie einander mit den ewig gleichen Vorwürfen. Wieder und wieder. Jahr für Jahr. Ihre Dispute waren so berechenbar, dass Ginny schon vor langer Zeit damit aufgehört hatte, sie zu fürchten oder ihnen gar aus dem Weg zu gehen. Im Gegenteil: Die Vorhersehbarkeit ihrer Auseinandersetzungen hatte ihr Halt gegeben. Und nun, da einer von ihnen den gewohnten Rahmen verlassen hatte, empfand sie auf einmal Angst.
    Selbst wenn jetzt die Tür offen stünde . ..
    »Ich glaube nicht, dass ich übertreibe«, startete sie einen neuen Versuch, ihn in Wut zu bringen, doch auch dieses Mal tat er ihr nicht den Gefallen.
    »Vielleicht hast du recht.« Er setzte sich aufs Bett und streckte die Hände nach ihr aus. Und voller Schreck stellte Ginny fest, dass er alt wirkte. Zum ersten Mal, seit sie einander kannten, wirklich alt.
    »Ich bin an der Rezeption«, sagte sie, indem sie die Tüte mit dem hübsch verpackten Seidenschal an sich riss, den sie zusätzlich zu ihrem Hocker besorgt hatte, um nicht hinter Adam oder Bill oder sonst wem zurückzustehen.
    Ryan sah irritiert aus. »Ich dachte, du hast den Rest des Tages frei.«
    »Hatte ich auch«, entgegnete sie kühl. »Bis zu dem Moment, als sich unsere personellen Ausfälle zu häufen begannen.«
    »Tut mir leid.«
    »Was genau tut dir leid?«
    Sein Blick bekam etwas Brennendes. Fast so, als ob er derjenige wäre, der Angst hatte. »Dann«, er schluckte, »hole ich dich nachher ab.«
    »Bemüh dich nicht«, versetzte sie und zog mit einer entschiedenen Bewegung die Tür hinter sich zu.

12
    Mia erschien gegen sechs, nass, aufgeschwemmt und mit einer riesigen Fast-Food-Tüte unter dem Arm, aus der der penetrante Geruch von altem Fett aufstieg.
    Als sie ihre Jacke auszog, zuckte Laura unwillkürlich zusammen, denn darunter trug ihre Schwester den Matrosenpullover, den ihre unbekannte Großtante vor langer Zeit für sie gestrickt hatte. Er war ihr viel zu eng – Mia schien darin buchstäblich

Weitere Kostenlose Bücher