Blut Von Deinem Blute
Miene nach etwas, das ihn verriet. Doch sie wurde nicht fündig.
»Hast du Schwierigkeiten?«
»Ich war krank.«
Er nickte nur. »Kann ich dir irgendwie helfen?« Sie hatte eigentlich nicht das Gefühl, dass sich sein Angebot auf ihre Antwort bezog. Trotzdem fragte sie: »Helfen?
Wobei?«
»Ich weiß es nicht.« Er wirkte ungewohnt entschlossen an diesem Nachmittag. Wie jemand, der sich dazu durchgerungen hatte, einen Kampf aufzunehmen. »Sag du's mir.«
»Ich brauche keine Hilfe.«
»Das sehe ich anders.«
»Es steht dir selbstverständlich frei, eine Sache zu sehen, wie immer du willst«, versetzte sie und kam sich dabei wie ein trotziges Schulmädchen vor. Falsche Reaktion. Fehler. Fauxpas. »Aber mit der Realität hat dieser Eindruck nichts zu tun. Mir geht es nämlich blendend.«
Die Kellnerin, die in diesem Augenblick an ihren Tisch trat, verhinderte seine Antwort. Stattdessen orderte er Cappuccino und heiße Waffeln mit Kirschen und Schlagsahne. Zwei Portionen. Ohne zu fragen.
Dass er so einfach über sie bestimmte, brachte Laura nur noch mehr in Rage. Sie dachte daran, einfach aufzustehen und zu gehen, ihn sitzen zu lassen mit seinem Cappuccinound den Waffeln, die sie nicht haben wollte. Aber sie blieb sitzen. Folgsam wie ein Kind.
»Wir haben frische Muffins im Angebot«, sagte die Kellnerin.
Doch Leon winkte dankend ab.
Laura verschränkte die Arme vor der Brust und hoffte inständig, dass er ihr Zittern nicht sah. Sie war empfindlich geworden in den letzten Tagen. So empfindlich, dass sie es sich nicht einmal mehr zutraute, von einem Stuhl aufzustehen. Stattdessen betrachtete sie ihre sorgfältig manikürten Fingernägel. So anders als bei Mia, dachte sie. Und dennoch genauso verkrüppelt. Vielleicht sogar noch verkrüppelter.
Auf der anderen Seite des lächerlichen Puppentischchens schien Leon auf irgendetwas zu warten, das nichts mit Cappuccino oder Waffeln zu tun hatte. Und auf einmal fand Laura seinen Blick doch belästigend. »Solltest du nicht irgendeinen Artikel schreiben?«, fragte sie aggressiv.
»Ich habe abgesagt.«
»Wieso?«
Er seufzte. »Hör zu«, begann er. »Ich habe keine Ahnung, was du auf dieser Insel vorhast. Aber was immer es ist: Lass mich dir dabei helfen.«
»Nein«, sagte sie endgültig.
»Und warum nicht?«
»Weil es dich nicht das Geringste angeht.«
»Was genau geht mich nichts an?«, beharrte er. Sie hob den Blick. »Mein Leben.«
Er hatte mit dieser Antwort gerechnet, das sah sie ihm an. Trotzdem hatte sie ihn zutiefst verletzt. Die Pupillen inmitten des Blaus seiner Augen waren zusammengezucktunter der Entschiedenheit ihrer Zurückweisung, und mit einem Mal empfand sie etwas wie Mitleid mit ihm. Mitleid, aber auch Wut, weil seine blöde Kümmerei ihr vor Augen führte, dass es in ihrem Leben keine Chance auf Normalität gab. Keine Kuschelsonntage vor dem Fernseher. Keine Zoobesuche mit einem Haufen lärmender Kinder in bunten Kleidchen. Keine Himbeeren aus dem eigenen Garten zum Nachtisch. Nur Fluchten und dunkle Geheimnisse.
Unwillkürlich musste sie wieder an ihre Mutter denken.
War sie die Ursache allen Übels oder hatte sie nur viel früher als alle anderen gespürt, dass das Glück die Familie Bradley aussparen würde?
Ein Mann und zwei gesunde Kinder, resümierte Laura, für meine Mutter ist das nie genug gewesen ...
»Warum bist du hier?« Er ließ einfach nicht locker, und überrascht stellte sie fest, dass sie sich über seine Hartnäckigkeit freute.
»Ich habe etwas zu erledigen.«
»Hat es mit deinem Vater zu tun?«
Sie konnte nicht verhindern, dass sie zusammenzuckte. Dabei hätte sie ahnen müssen, dass er Bescheid wusste. Immerhin war er hier ...
»Was weißt du von meinem Vater?«, gab sie zurück.
»Nur das, was damals in den Zeitungen gestanden hat.«
»Du hast Nachforschungen über mich angestellt?!« Sie rang nach Luft. »Du hast es tatsächlich gewagt, mir ...«
»Das musste ich gar nicht«, fiel Leon ihr ins Wort. »Du weißt doch, wie so was läuft. Man trifft jemanden. Man erinnert sich an einen Namen. Man überlegt, wo man diesen Namen schon einmal gehört hat. Und so ergibt eins dasandere.« Er lehnte sich zurück, und etwas an seinem Gesichtsausdruck machte sie stutzig, als er in beinahe wütendem Ton hinzufügte: »Herrgott noch mal, Laura, du weißt doch, wie die Leute sind.«
»Nein«, antwortete sie, »das weiß ich nicht.«
»Der Mord an deinen Eltern hat großes Aufsehen erregt.« Es klang behutsam, wie er
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