Blut Von Deinem Blute
vergaß alle Vorsicht und hob den Kopf. Wenn es ihr gelänge, das Messer zu finden, die Tatwaffe ... Dann wäre sie aus dem Schneider. Und selbst eine Psychopathin wie ihre Schwester konnte es sich nicht leisten, eine Mordwaffe einfach unter ihr Bett zu legen. Oder in den Wandschrank. Sie musste sie verstecken.
Die Frage war nur: wo?
Laura beschleunigte ihre Schritte. Sie wählte einen Weg, der an möglichst wenig kritischen Punkten vorbei führte. Und sie begegnete niemandem. Vollkommen unbehelligt erreichte sie die Rückfront des Hotels. Das Herrenhaus lag dunkel und still am Ende der Gasse. Laura überlegte kurz, dann schlich sie rechts um das Gebäude herum, denselben Weg, den ihre Schwester am dreißigsten August vor fünfzehn Jahren genommen hatte, um nicht an der geöffneten Küchentür vorbeizumüssen. An den Leichen ihrer Opfer.
Im Hof hinter dem Haus war es stockfinster, nur aus der Tür zur Scheune fiel noch immer ein dünner Lichtstrahl. Laura blieb im Schatten eines wuchernden Gebüschs stehen und versuchte, sich die Gegebenheiten ins Gedächtniszu rufen, um auf ihrem Weg zur Hintertür nicht unnötig Lärm zu machen. Rechts von ihr, direkt an der Mauer, musste ein baufälliger Geräteschuppen stehen. Dahinter hatte Madame Bresson früher wenig erfolgreich Küchenkräuter und Tomaten gezogen. Linkerhand, in einer Nische seitlich der Hintertür, rostete ein ausrangierter Müllcontainer vor sich hin. An ihm orientierte sich Laura, fand die Hauswand und tastete sich von dort weiter, unter den finsteren Küchenfenstern entlang, zur Hintertür, die nicht verschlossen war. Laura musste an sich halten, um nicht in hysterisches Gelächter auszubrechen. Was für eine Ironie, dachte sie. Innen alles abgeschlossen, aber die Tür zur Außenwelt zu jeder Tages- und Nachtzeit sperrangelweit offen! Wahrscheinlich baute Mia darauf, dass ihr Ruf als »Irre mit dem Hackebeilchen« alle potenziellen Eindringlinge abschreckte!
Sie trat in die Diele und zog dann behutsam die Tür hinter sich zu. Licht machte sie keins. Sie konnte nicht sagen warum, aber sie hatte das Gefühl, dass das Licht Mias Aufmerksamkeit erregen würde. Oh ja, sie war davon überzeugt, dass ihre Schwester wie alle Psychopathen über hochempfindliche Sensoren verfügte, die schon von dem Geräusch, das ein meilenweit entfernter Lichtschalter machte, in Alarmbereitschaft versetzt wurden. Außerdem fühlte sie sich inzwischen fast wohler, wenn es dunkel war. Licht gaukelte einem nur allzu leicht eine Sicherheit vor, die nicht existierte.
Sie überprüfte noch einmal, ob die Tür hinter ihr auch wirklich zu war. Dann ging sie langsam auf die Treppe zu. Schon bevor sie um die Ecke bog, roch sie wieder die Äpfel, eine leise Ahnung der Zerstörungskraft ihrer Schwester.Sie hatte nicht aufgewischt. Nicht dieses Mal, dachte Laura bitter. Dabei waren unter Garantie Hunderte ihrer Fingerabdrücke auf diesen Äpfeln! Fingerabdrücke. Gebissabdrücke. Vor der Tür zum Gesindezimmer rotteten sie einträchtig vor sich hin. Trotzdem hatte Mia nicht aufgewischt. Offenbar fühlte sie sich sicher!
Laura hängte den Parka an die Garderobe zurück, als sie plötzlich einen Streifen Licht in der Dunkelheit registrierte. Er kam aus der Ecke hinter der Treppe, dorther, wo eine stabile Stahltür in den Keller hinunterführte. Mein Gott!, dachte sie, sie ist gar nicht im Atelier! Sie ist im Keller! Was zum Teufel treibt sie da unten?
Sie reinigt das Messer, antwortete ihr Verstand mit beängstigender Logik. Sie wäscht Conchitas Blut herunter, damit die Hunde es nicht wittern. Und dann versteckt sie es irgendwo. Ganz wie immer.
Laura schlich, so leise sie konnte, durch die Diele, zur Kellertür. Der Stahl war zu dick, als dass sie irgendetwas von dem, was dort unten vor sich ging, hätte hören können. Trotzdem legte sie das Ohr gegen das kalte Metall und lauschte. Nichts. Stille. Herzschlag.
Wag es!
Ihre Hand berührte die Klinke. Sie wusste, dass die Treppe schnurgerade und steil abwärtsführte und dann in einen schmalen Gang mündete. Von dort zweigten Türen ab. Kellerräume. Vorratslager. Öltank. Sogar ein Waschbecken gab es da unten. Es befand sich in einem der Räume, die ihr Vater zur Aufbewahrung seiner Weltuntergangsrationen mit deckenhohen Regalen bestückt hatte.
Laura drückte auf die Klinke und zog die Tür auf, ganz langsam, Zentimeter für Zentimeter. Aus dem Spaltflutete Licht zu ihr herauf. Hartes, schwindelerregend helles Neonlicht, das sie
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