Blut Von Deinem Blute
für gewöhnlich die Phase des Zupackens. »Ich setze mich jetzt ins Auto, fahre zum Flughafen raus und suche mir irgendeinen Idioten, der mich nach Jersey fliegt, okay? Und so lange ...«
»Nein«, fiel Leon seinem Freund ins Wort. »Du bleibst, wo du bist. Und ich rufe jetzt die Polizei an.«
»Bist du sicher, dass du das tun willst?«
Leon sah wieder den Pullover der Toten an, der starr war vor Blut. »Ja«, sagte er. »Ich bin ganz sicher.«
»Gut«, antwortete Kevin, hörbar erleichtert. »Ich komme, so schnell ich kann.«
»Untersteh dich.«
»Wolltest du irgendwas sagen?«
Leon schmunzelte, obwohl ihm eher nach Schreien und Weglaufen zumute war. »Ich werde keinen Anwalt brauchen.«
»Vielleicht nicht unbedingt einen Anwalt«, räumte Kevin ein. »Aber einen Freund.«
Dann unterbrach er die Verbindung, bevor Leon noch etwas einwenden konnte.
Samstag, 24. August
1
Josh . ..
Der Name hatte sich in ihre Gedanken geschlichen, ohne dass sie etwas davon bemerkt hätte, und nun ließ er sich nicht mehr vertreiben, so sehr sie es auch versuchte.
Sie hatte zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens darüber nachgedacht, wie sie ein Kind nennen wollte, das sie vielleicht irgendwann einmal haben würde. Und sie war sich auch ziemlich sicher, dass »Josh« kein Name war, der ihr schon einmal in irgendeinem bemerkenswerten Zusammenhang begegnet war oder mit dem sie sich jemals bewusst beschäftigt hatte. Trotzdem nannte sie das Baby, das sie nicht haben wollte, auf einmal so. Josh.
Sie war sich durchaus bewusst, dass dieses Verhalten jeglicher Logik entbehrte. Mehr noch: Sie konnte ja nicht einmal sicher sein, dass es sich bei dem Kind, das sie nächste Woche töten würde, tatsächlich um einen Jungen handelte. Aber sie befand sich nun einmal in einer Ausnahmesituation, und da war es vermutlich nicht weiter verwunderlich, dass ihr Unterbewusstsein auf der Suche nach Hilfe, nach einem wie auch immer gearteten Verbündeten, auf die abstruse Idee verfiel, einer geschlechtslosen Ansammlung von Zellen einen Namen zu geben: Josh.
Sie hatte die ganze Nacht mit angezogenen Beinen aufihrem Bett gesessen, den Rücken gegen die kalten Eisenstäbe gepresst. Sie hatte an Leon gedacht, an die beunruhigende Schlichtheit, mit der er ihr vorgeschlagen hatte, seine Frau zu werden. An den altmodischen Beschützerinstinkt, der ihn zweifellos zu dieser Frage getrieben hatte. Und an den Ausdruck seiner Augen, als sie das Cafe verlassen hatte. Sie hatte durch die stille Inseldunkelheit auf die verbarrikadierte Tür zu ihrem Jugendzimmer gestarrt und ihrem eigenen Herzschlag gelauscht, der bewies, dass sie entkommen war. Dass sie lebte ...
Gegen Morgen war sie, halb sitzend und gegen ihren Willen, schließlich doch noch in einen leichten, unruhigen Schlaf gefallen und hatte geträumt, in einem fensterlosen Raum gefangen zu sein und eine Fehlgeburt zu erleiden. Sie hatte um Hilfe gerufen, aber es war niemand erschienen, und irgendwann war sie schweißgebadet und zitternd erwacht. Sie hatte das Bett nach Blutspuren abgesucht und keine gefunden, und ein Gefühl grenzenloser Erleichterung hatte sich ihrer bemächtigt. Josh war da, noch immer da. Er hatte die Nacht überlebt, den Traum und sogar die Begegnung mit der ermordeten Conchita. Er war stark. Ein zäher kleiner Bursche!
Laura ertappte sich bei einem Lächeln, das ihr angesichts ihrer Pläne vollkommen deplatziert vorkam.
Schnell sah sie nach den ungeputzten Fenstern ihres Kinderzimmers, wo beinahe unbemerkt ein trüber, aber immerhin neuer Morgen herangedämmert war. Sie schwang die Beine aus dem Bett und dachte an den Plan, den sie sich in den schlaflosen Nachtstunden zurechtgelegt hatte, ihren Schlachtplan, wie sie ihn nannte. Das Ziel war klar: einen Beweis für Mias Schuld finden. Und Josh retten ...
Sie stand auf, machte sich fertig und überlegte dabei, wie viel Zeit ihr bleiben würde, bis die Polizei eine Verbindung zwischen der Toten im Park und den Erben des Herrenhauses herstellte. Einen Tag? Ein paar Stunden? Bestimmt hatte man Conchita bereits entdeckt. Und vielleicht beugte sich schon jetzt, in diesem Augenblick, irgendein Kriminalbeamter interessiert über die Akte der Herrenhausmorde.
Ja, dachte sie, die Zeit wird knapp. Ich muss mich beeilen!
2
Nichts an Jason Hearings Gesicht verriet, was er über ihr unerwartetes Wiedersehen wirklich dachte. »Monsieur de Winter«, sagte er in freundlich-neutralem Ton. »Bitte, nehmen Sie doch
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