Blut Von Deinem Blute
über eine Leiche gestolpert.«
Leon zwang sich, die Tote anzusehen. »Ja.«
»Na schön. Okay.« Leon sah seinen Freund vor sich, wie er in der engen Diele vor seinem Schlafzimmer auf und ab lief, um Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Etwas, das Kevin schon getan hatte, als sie noch Studenten gewesen waren. »Jetzt erzähl mir von dieser Leiche.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Hier im Park sind ein paar kleine Lauben. Du weißt schon, solche pavillonähnlichen Eisengerüste, die sie mit irgendwas begrünt haben. Und im Inneren dieser Lauben stehen Bänke zum Ausruhen oder Lesen.«
»Weiter.«
»Nichts weiter. Die Tote sitzt auf einer dieser Bänke.«
»Woran machst du fest, dass sie tot ist?«
Leon wusste, dass sein Freund ihm diese Fragen stellen musste. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass sich ein Hauch von Sarkasmus in seine Stimme stahl, als er sagte: »An dem Loch in ihrer Kehle.«
Er könnte hören, wie Kevin die Luft anhielt. »Das bedeutet, sie ist eines gewaltsamen Todes gestorben?«
»Ganz eindeutig.«
»Scheiße.« Kein Zweifel, jetzt war Kevin, der Jurist, dabei, die verschiedenen Alternativen gegeneinander abzuwägen. »Kann es Laura gewesen sein?«
»Ich glaube kaum.«
»Weil sie als deine große Liebe zu einer solchen Bluttat selbstredend gar nicht fähig ist?«, versetzte Kevin ironisch, doch seine Stimme war schwer vor Sorge.
»Weil ich die Wirbelsäule dieser armen Frau sehen kann.« Leon fuhr sich mit der freien Hand durchs Gesicht. »Verdammt, Kevin, sie ist regelrecht abgeschlachtet worden.«
»Genau wie Lauras Eltern.«
Er zuckte zusammen, obgleich ihm vollkommen klar war, dass Kevin lediglich aussprach, was alle denken würden. Jeder, der von den Bradley-Morden wusste, hätte dieselbe Assoziation, dachte er. »Trotzdem ... Das hier ... Es ist einfach unmöglich.«
Leon spürte, dass Kevin eine angemessene Entgegnung auf der Zunge lag, doch er sprach sie nicht aus. Stattdessen fragte er: »Was hatte Laura überhaupt dort zu suchen, wenn das Wetter so schlecht war, wie du sagst?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß ja nicht mal, ob die tote Frau irgendeinen Bezug zu ihr hat.«
Kevin war skeptisch. »Falls nicht, wäre das schon ein höchst merkwürdiger Zufall.«
»Und wenn ihr jemand eine Falle gestellt hat?«
»Wem? Laura?«
»Warum nicht? Vielleicht hat ihre Rückkehr irgendwelche schlafenden Hunde geweckt. Und jemand fühlt sich durch ihre Anwesenheit in die Enge getrieben.«
»Das ist natürlich möglich«, räumte Kevin zu Leons Überraschung ein. »Ebenso wie es möglich ist, dass Laura eine kaltblütige Mörderin ist.«
»Aber die Tote sieht nicht gerade zart aus«, wandte Leon ein, indem er seine Augen über Conchita Perreiras Oberkörper gleiten ließ.
»Du meinst, Laura hätte nicht genug Kraft gehabt, die Frau zu töten?« Kevin schnaubte verächtlich. »Vergiss es. Mit einem scharfen Messer und einer gehörigen Portion Wut oder Wahnsinn in den Adern ...« Er brach ab. »Aber lassen wir das. Als Erstes sollten wir uns überlegen, wie wir dich einigermaßen heil aus dieser Nummer rauskriegen.«
»Mich?«, fragte Leon entgeistert.
»Wir haben da zwei Möglichkeiten ...«
Wir . ..
»... Entweder du verhältst dich, wie sich jeder normale, unbescholtene Tourist verhalten würde, und rufst jetzt sofort die Polizei an, wobei du dir in diesem Fall natürlich die Frage gefallen lassen musst, was du bei einem solchen Sauwetter spätabends im Park treibst. Und falls diese Tote irgendeinen Bezug zu Laura oder ihrer Familie habensollte, wovon ich einfach mal ausgehe, erinnern sich die Bullen unter Garantie auch daran, dass du bereits gehörig in dieser alten Geschichte herumgestochert hast, und es käme heraus, dass du mit Laura befreundet und ihr nach Jersey gefolgt bist.« Er räusperte sich. »Oder ...«
Die Sache sieht nicht gut aus, dachte Leon resigniert. Weder für Laura noch für mich. »Oder?«
»Oder du machst auf der Stelle, dass du da wegkommst, tust wie Nulpe und hoffst, dass dir morgen früh beim Frühstück irgendwer erzählt, bei deiner Leiche handele es sich um eine von ihrem eifersüchtigen Ehemann niedergemetzelte Exprostituierte. Oder irgendeine Junkie-Braut, die an den falschen Freier geraten ist.«
»So sieht sie leider nicht aus«, entgegnete Leon trocken. »Die Frau ist mindestens Ende fünfzig. Und eher ... Na ja, hausbacken.«
»Verdammt.«
»Du sagst es.«
»Na schön, pass auf...« Auf die erste Analyse folgte bei Kevin
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