Blut Von Deinem Blute
studiert man nicht. Kunst macht man einfach.
»Hat Mia Bradley von den Plänen ihres Vaters gewusst?«, fragte er, weil ihm dieser Punkt auf einmal von ausschlaggebenderWichtigkeit zu sein schien. »Ich meine, dass er ihr eine Ausstellung finanzieren wollte.«
Julien Bressons Gesicht spiegelte Erheiterung. »Die wusste sogar, wie oft die Zimmermädchen pissen gehen.«
»Das heißt, sie hat auch von der geplanten Ausstellung gewusst«, insistierte Leon.
»Na klar.«
»Wissen Sie das, oder vermuten Sie es nur?« Er zog wieder die Nase hoch. »Sie wusste alles, die kleine Schnüfflerin.«
Leon betrachtete ihn und fragte sich einmal mehr, warum die Menschen auf dieser Insel so wenig Gespür für Widersprüche zu haben schienen. Mia Bradley war ein debiles Dummchen. Und im nächsten Atemzug war sie eine Schnüfflerin, die alles wusste. Sie war schlecht in der Schule und machte trotzdem jedes verdammte Kreuzworträtsel, das sie in die Finger bekam. Sie war eine Irre, aber sie war raffiniert – zwei Ansichten desselben Bildes.
Was ist sie wirklich?, dachte Leon mit einem Anflug von Beklemmung. Schuldig?
»Haben Sie Ihre Mutter angerufen, an dem Abend, an dem sie ermordet wurde?«
»Nein.« Er sah überrascht aus. »Warum sollte ich?«
»Sind Sie sicher?«
»Natürlich bin ich sicher.«
Leon drehte sich nach der Tür um. Die Frau war verschwunden. Wie lange schon?
»Wann haben Sie Ihre Mutter zuletzt gesprochen?«
»Vormittags irgendwann.«
»Erinnern Sie sich noch, worum es in diesem Gespräch gegangen ist?«
»Um Geld«, antwortete er ohne Umschweife.
»Haben Sie Ihre Mutter angepumpt, um Ihre Spielschulden begleichen zu können?«
Julien schien zu überlegen, woher er das wusste. »Ich habe meine Schulden nur sehr selten beglichen«, sagte er schließlich. »Genau das war mein Problem.«
»Aber wenn Sie mal bezahlt haben«, beharrte Leon, »dann stammte das Geld von Ihrer Mutter, oder nicht?«
»Nein.« Seine Frau war fort. Jetzt zeigte er seine Aggressionen offen.
»Woher sonst?«
»Ich habe damals längst mein eigenes Geld verdient.«
Leon zog ironisch die Augenbrauen hoch. »Sie meinen Ihr Lehrlingsgehalt?«
»Was geht Sie das alles eigentlich an?«
Berechtigte Frage, dachte Leon. »Glauben Sie, dass Mia Bradley ihre Mutter getötet hat?«, fragte er eilig, bevor Julien Bresson auf die Idee kam, ihn hinauszuwerfen.
»Vielleicht.« Er stand auf.
Leon hätte ihn am liebsten bei den Schultern gepackt und festgehalten. »Und warum haben Sie dann neulich Abend Mias Schwester als Mörderin bezeichnet?«
Er grinste. »Habe ich das?« Dann wandte er sich demonstrativ ab und griff wieder nach dem Werkzeug, das er bei Leons Eintreten in der Hand gehalten hatte. Die Anspannung ließ die Sehnen in seinem Nacken hervortreten.
»Ich höre immer wieder, dass es nur eine der Töchter gewesen sein kann«, sagte Leon. »Und wissen Sie, dass die Begründung für diese Annahme immer das Erbe ist? Die Töchter haben geerbt. Das Hotel. Das Herrenhaus. Das gesamte Vermögen.«
Julien Bresson reagierte nicht.
»Immer ist nur von Profit die Rede, und ich frage mich ...« Er wollte nicht lockerlassen. Noch nicht. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte er das Gefühl, dass bei Jacqueline Bressons Sohn noch etwas zu holen war. »Ich frage mich, warum so viel Blut fließen musste, wenn es tatsächlich nur ums Geld ging.«
Julien Bresson hielt mitten in einer Bewegung inne. »Vielleicht musste es so viel Blut sein, damit man an das Märchen von der durchgeknallten Tochter glaubt.«
Da ist was dran, dachte Leon, indem er einen Schritt zur Seite machte, um seinem Gesprächspartner ins Gesicht sehen zu können. »Denken Sie, dass jemand gezielt versucht hat, Mia Bradley die Morde in die Schuhe zu schieben?«
»Vielleicht wussten sie, dass sie sie niemals drankriegen, deswegen.«
Da irrst du dich, dachte Leon. Wenn Mia Bradleys Fingerabdrücke auf dem Beil gewesen wären, hätten sie sie sehr wohl drangekriegt! »Wer hat das gewusst?«
Doch Julien Bresson schwieg wieder.
»Sie sprechen immer von mehreren Personen«, beharrte Leon. »Aber außer Mia Bradley hat nur eine einzige Person von der Tat profitiert. Und das ist ihre Schwester.«
»Es gibt viele Arten zu profitieren.«
»Zum Beispiel?«
In seinen Augen erschien ein Funkeln. »Sie haben mich doch eben nach Geld gefragt.« Leon nickte.
»Ich hab tatsächlich hin und wieder mal was bekommen.« Er bückte sich und hob das Zaumzeug auf. »Aber nicht von
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